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Buch in der Diskussion

Wortkonstrukte statt Lösungsvorschläge

Bernward Janzing
  • Mi, 17. Januar 2024
    Literatur & Vorträge

     

Die Klimaforscherin Friederike Otto holt zum Rundumschlag aus. Statt neuer Erkenntnisse liefert sie ein Sittengemälde des "woken" Zeitgeistes. .

  | Foto: Verlag
Foto: Verlag
Klar, man kann eine fatale Hitzewelle immer wieder plastisch als "das Biest" bezeichnen, wenn man das kreativ findet. Aber irritierend ist eine solche Wortwahl in einem Buch, von dem man eine gewisse Wissenschaftlichkeit erwartet. Schnell erweist sich diese drastisch-saloppe Art als exemplarisch für die Linienführung des Werkes, das auch eine Hitzewelle schon mal einen "Profikiller" nennt. Hauptsache markige Worte.

Friederike Otto ist eine prominente Vertreterin der Attributionsforschung, die sich der Zuordnung von Extremwetterereignissen zum Klimawandel widmet. Sie lehrt in London und hat ihre Forschungsrichtung vor vier Jahren in dem Buch "Wütendes Wetter" dargelegt.

Mit ihrem neuen Werk greift sie weiter aus. Bereits das Cover beeindruckt: Gleich vier Modeworte der aufgeheizten gesellschaftlichen Debatte darauf unterzubringen – Klimakatastrophe, Kapitalismus, Rassismus und Sexismus –, das ist großes Kino des Marketings. Nur für das Wort Kolonialismus war kein Platz mehr. Im Innenteil kommt es zur Genüge vor.

Nun liegt, wo so virtuos mit den Insignien des Zeitgeists jongliert wird, der Verdacht nahe, dass Wortgewalt nur eine inhaltliche Schlichtheit zu kaschieren sucht. Tatsächlich versinkt das Buch tief im identitätspolitischen Morast. Etwa wenn es beklagt, dass die Klimawissenschaften "von weißen Männern dominiert" sind. War man nicht längst darüber hinaus, die Qualität von Wissenschaft an der Hautfarbe der Akteure zu bemessen?

Doch dieses Muster zieht sich durchs Buch. Wenn in Afrika nur wenige Wetterstationen stehen, weshalb Extremwetter dort wenig dokumentiert ist, kann daran einzig der Kolonialismus schuld sein. Wenn in Kapstadt die Schwarzen, die zugleich oft die Ärmeren sind, besonders unter Dürre leiden, ist auch der Bogen vom Klimawandel zum Rassismus geschlagen. Wenn in Gambia "patriarchale Strukturen dafür sorgen, dass schwangere Frauen in traditionellen Gesellschaften bei extremer Hitze im Freien arbeiten", hat man auch die sexistische Komponente des Klimawandels am Wickel. So herrlich einfach scheint die Welt, wenn man sich nur auf der richtigen, der "woken" Seite der Geschichte wähnt.

Zwar ist es unbestritten bitter, wenn in Afrika "Hilfsgelder an das männliche Familienoberhaupt ausgezahlt werden und nie bei jenen ankommen, die das Essen auf den Tisch bringen müssen". Nur: An Lösungsvorschlägen für dieses und die vielen anderen Probleme fehlt es hier. Zumal der stets gleiche Ansatz, alle Probleme der Welt mit dem Klimawandel zu vermengen, nur Verwirrung stiftet, statt Handlungsoptionen aufzuzeigen.

Vielmehr findet Otto Gefallen am Modus der schlichten Krisenbeschreibungen, streift langatmig durch diverse Weltregionen und schreibt über Brandrodungen im Brasilien Bolsonaros, Monsunregen in Pakistan und Dürre in Madagaskar. Gerne alarmistisch: "Beim Klimaschutz geht es weltweit jetzt und heute um Leben und Tod." Nun ja, soweit bekannt, aber wie weiter?

Da hilft es auch nicht, wenn man erfährt, Madagaskar leide unter "kolonialfossiler Politik". "Kolonialfossil" ist ein diffuses Wortkonstrukt der Autorin. Otto hat gleichwohl so viel Spaß an ihrer Neuschöpfung, dass sie selbige gleich dutzendfach verwendet – es soll wohl irgendwie bedeutungsschwanger klingen. Überhaupt mag die Autorin die Modewörter: Da tummeln sich die Narrative, da wird allenthalben Framing attestiert, da wird vage auf einen Gamechanger gehofft. Die Worte sind oft so überdreht wie die Themen beliebig.

Natürlich darf eine Portion Medienschelte nicht fehlen. Während Extremwetter in Europa in den hiesigen Zeitungen wochenlang für Schlagzeilen sorge, sei "die Berichterstattung über Wetterextreme in Afrika so gut wie nicht vorhanden". Natürlich aus kolonialistischen Motiven. Die naheliegende Frage bleibt ungestellt: Berichten Afrikas Zeitungen über Wetterextreme in Europa?

Schließlich streift die Autorin noch die Kunstwelt, indem sie sich "ein wenig enttäuscht" zeigt, dass es in der Tate Modern "kaum Werke zum Klimawandel gibt". Ferner kommt das Kino zu Ehren, nämlich mit einem Schlenker zum "Barbie"-Film – wobei das Patriarchat herhalten muss als Verknüpfung zwischen der Klischee-Schönheit und der Erderwärmung. Spätestens das muss man nun wirklich nicht mehr verstehen.

Friederike Otto: Klimaungerechtigkeit. Ullstein Verlag, Berlin 2024. 336 Seiten, 22,99 Euro.

Ressort: Literatur & Vorträge

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