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Wie ein Mädchen zur Feindin der Taliban wurde

Annemarie Rösch
  • Mi, 18. Dezember 2013, 10:03 Uhr
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Das Mädchen ist unglaublich. Während die meisten Heranwachsende ihres Alters in Deutschland am liebsten chillen und die Schule oft als lästige Pflicht betrachten, kämpft Malala Yousafzai (16) seit Jahren für das Recht der Mädchen in ihrer pakistanischen Heimat auf Schulbildung. In einem Internet-Blog berichtete sie lange unter falschem Namen, wie die islamistischen Taliban die Menschen in ihrer Heimat tyrannisieren. Auf sie aufmerksam wurde man im Westen allerdings erst, als sie den Preis dafür zahlte: Ein radikaler Islamist schoss ihr im Oktober 2012 in den Kopf. Sie überlebte. Seither kann sie sich kaum noch vor Auszeichnungen für ihr Engagement retten. Sogar für den Friedensnobelpreis war sie im Gespräch, erhielt ihn aber dann doch nicht.

Malala Yousafzai hat nun ihre Lebensgeschichte veröffentlicht. So unglaublich ihr frühes politisches Engagement ist, so ungewöhnlich ist auch das Buch für eine 16-Jährige. Es entführt den Leser in eine Welt, die den meisten unbekannt sein dürfte: ins Swat-Tal nahe der afghanischen Grenze. In diesem grünen Tal, indem Weintrauben, Pfirsiche, Guaven und Äpfel wachsen, wird sie zusammen mit zwei Brüdern groß. Insbesondere ihr Vater ist ein eigener Charakter. Entgegen aller Traditionen setzt er sich dafür ein, dass Mädchen ebenso viel lernen dürfen wie Jungs. Er gründet eine Mädchenschule. Davon profitiert auch Malala, die eine ausgezeichnete Schülerin ist. Trotz der relativen Armut beschreibt Malala ihre frühe Kindheit als Idylle. Sie wählt die Worte so, dass man sich das Leben gut vorstellen kann.

Zugleich ist das Buch ausgesprochen informativ. Es führt ein in die Geschichte Pakistans, ein Land, das sehr jung ist und seit Jahrzehnten von Konflikten zwischen Religionsgemeinschaften, Ethnien, verschiedenen politischen Parteien zerrieben wird. Das detaillierte Wissen ist natürlich auch Malalas Coautorin Christina Lamb zu verdanken. Die Journalistin kennt sich bestens aus in der Region. Sie berichtet seit 1987 aus Afghanistan und Pakistan. Und sicherlich dürfte auch Malalas Vater einen großen Beitrag zu den historischen und politischen Hintergründen geliefert haben, wie auch er es war, der seine Tochter früh angehalten hat, selbständig zu denken und für ihre Überzeugungen einzustehen. Mit dem Einzug der Taliban ins Swat-Tal 2007 wurde das aber immer schwieriger. Malala war damals zehn. "Das Tal des Todes" nennt sie das Kapitel über das Ende ihrer Kindheit.

Erschreckend ist, wie wenig die Weltöffentlichkeit wahrnahm, was sich im Swat-Tal damals abspielte. Die Taliban rissen die Herrschaft an sich, führten ihre eigenen Gesetze ein, verboten Musik, schlossen Schulen oder zerstörten sie, wenn sich Lehrer, Eltern und Kinder widersetzten. Der schwache Staat war nicht in der Lage, ihrem Treiben Einhalt zu gebieten.

Überhaupt ist nicht klar, welche Rolle Behörden und das Militär spielten, ob sie womöglich die Taliban sogar unterstützen. Das arbeiten Malala und Christina Lamb gut heraus. Malala begann zu diesem Zeitpunkt, die Taliban öffentlich zu kritisieren. Ihr Vater ermunterte sie dazu. Er glaubte, dass ein Kind, das sich für das Recht auf Schulbildung einsetzt, nicht von den Extremisten angegriffen wird. Von da an war Malala in Pakistan ein gern gesehener Gast in Talkshows. Sie traf hochrangige Politiker, vertrat immer selbstbewusster ihr Anliegen. Wenn auch der Vater im Hintergrund seine Tochter lenkte, die schwierigen Lebensumstände mögen dieses ungewöhnliche Mädchen auch dazu getrieben haben, früher als die meisten Kinder in Europa politisches Bewusstsein zu entwickeln.

Malalas Vater sollte sich bitter täuschen. Jahre, nachdem das Militär die Taliban weitgehend aus dem Swat-Tal vertrieben hatte, attackierte ein Extremist das Mädchen auf dem Nachhauseweg von der Schule. Dank ihrer Popularität erhielt Malala schon in Pakistan die beste medizinische Hilfe und wurde dann nach Großbritannien verlegt, wo sie heute noch lebt. In ihrem Buch erinnert Malala daran, wie viele andere Menschen in Pakistan Opfer von islamistischem Terror werden – ohne, dass jemand Aufhebens darum macht. Es ist auch ein Appell an die Politiker dieser Welt und in ihrer Heimat, dies nicht einfach hinzunehmen. Für ihr Engagement erhielt Malala unter anderem den Sacharow-Preis für geistige Freiheit des EU-Parlaments. So sehr sie diesen Ruhm auch zu genießen scheint, in ihren Worten ist der Schmerz zu verspüren, ihre trotz allem geliebte Heimat verloren zu haben.

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  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mi, 18. Dezember 2013: PDF-Version herunterladen

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