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Bruchlandung in Russland

Pilot spricht von Blitzeinschlag

Stefan Scholl
  • & dpa

  • Mo, 06. Mai 2019, 19:58 Uhr
    Panorama

     

Es ist die schwerste Bruchlandung seit Jahren auf Russlands größtem und modernstem Flughafen. Ein Aeroflot-Superjet geht in Flammen auf, nicht einmal die Hälfte der Passagiere überlebt.

Das Wrack des Passagierflugzeugs wird nun untersucht.   | Foto: dpa
Das Wrack des Passagierflugzeugs wird nun untersucht. Foto: dpa

Wegen mangelhafter Wartung hat das russische Mittelstreckenflugzeug keinen guten Ruf. Eine Frage ist auch: Haben die Überlebenden Schuld auf sich geladen?

Aus dem zur Hälfte verkohlten Wrack der Aeroflot-Maschine ziehen Rettungskräfte in Moskau am Tag nach der Brandkatastrophe die letzte Leiche. 41 Todesopfer zählen die Behörden. Nur 33 Passagiere und vier Besatzungsmitglieder überlebten das Unglück.

Es ist der schwerste Unfall seit Jahren für den ultramodernen Airport Moskau-Scheremetjewo – ein Stolz der russischen Nation wie das verunglückte Flugzeug vom Typ Suchoi Superjet-100 (SSJ-100). Das russische Ermittlungskomitee hat ein Strafverfahren eröffnet. Es prüft mangelhafte Qualifikation der Piloten und Fluglotsen, einen Defekt am Flugzeug sowie widrige Wetterbedingungen als mögliche Ursachen. "Wegen eines Blitzes ist uns die Funkverbindung abhandengekommen", sagte der Pilot Denis Jewdokimow am Tag danach. Es sei gelungen, die Funkverbindung über eine Notfrequenz wiederherzustellen, er habe die Maschine im Handbetrieb steuern und dann landen müssen, erzählt Jewdokimow den Medien in Moskau.

Das Flugzeug schlug mehrfach auf dem Boden auf und fing Feuer. Auch die Stewardess Tatjana Kassatkina bestätigt, dass der SSJ-100 kurz nach dem Start in eine Gewitterfront mit Hagel geraten sei. "Es gab einen Knall, so einen Blitz. Es ging alles sehr schnell", meinte sie im Fernsehsender Rossija-24.

Experten fragen sich , warum der Jet sofort notlandete. Üblicherweise kreisen Passagierflugzeuge in solchen Situationen, um möglichst viel Treibstoff zu verbrennen und so die Feuergefahr bei einer Bruchlandung zu verringern. Außerdem herrscht Unklarheit, wie der Blitz das Flugzeug und seine Systeme beschädigen konnte. Russische Fachleute verweisen darauf, dass der SSJ-100 wie andere moderne Jets ein System zur Ableitung statischer Energie besitzt. "Eine normale Maschine nimmt einen Blitzeinschlag nicht einmal wahr", erklärt der Luftfahrtexperte Vadim Lukaschewitsch.

Aeroflot stufte vergangenes Jahr in einem internen Bericht die Flugsicherheit seiner Boeing- und Airbus-Maschinen als "hoch" ein, die Flugsicherheit seiner SSJ-100-Jets dagegen als "mittel". "Die Piloten loben die Maschine", sagt der Aeroflot-Flugkapitän Andrei Litwinow. "Aber bei der Organisation um das Flugzeug herum herrscht Schlamperei, sowohl bei der Wartung der Triebwerke wie bei der Versorgung mit Ersatzteilen."

In sozialen Medien häuften sich nach dem Unglück außerdem Berichte, wonach Fluggäste anderen den Weg zu den Notausgängen versperrten. Sie sollen sich lieber um ihre Rucksäcke, Handtaschen und Köfferchen in den Ablagen gekümmert haben – als darum, anderen zu helfen. Das soll den Passagieren aus den hinteren Reihen kostbare Zeit zur Flucht gekostet haben, heißt es. Dort überlebte kaum jemand. Auch bei Aeroflot wird vor dem Start ausführlich darüber aufgeklärt, dass im Notfall alle persönlichen Gegenstände zurückzulassen sind. "Wie lebt es sich mit dem Gedanken, dass man seine Unterwäsche auf Kosten anderer Menschenleben gerettet hat?" fragt Experte Lukaschewitsch.

Die größte russische Fluglinie kommentierte zunächst nicht, ob vielleicht mehr Menschen hätten gerettet werden können. Sie sprach zunächst von einem neuen Rekordwert: Die Crew habe nur 55 Sekunden gebraucht, um das Flugzeug zu evakuieren. Im Handbuch sind für diese Notfallmaßnahme 90 Sekunden vorgesehen. Doch die meisten Menschen an Bord hatten nichts davon.

Überlebende berichteten von dramatischen Szenen an Bord: Die Flugbegleiter hätten in der Feuersbrunst um das Leben der Gäste gekämpft, sagte der Passagier Dmitri Chlebuschkin. "Die Stewardessen waren dort, wo es extrem heiß war. Dort haben sie die Leute rausgezogen und die Menschen zu den Notausgängen gebracht", erzählte er. "Nur dank der Flugbegleiter bin ich noch am Leben." Als einen Helden bezeichneten Kollegen und Überlebende den 22 Jahre alten Flugbegleiter Maxim Moissejew, der sich bis zuletzt im Innenraum um die Rettung der Passagiere gekümmert habe. Auch er starb. Laut Rettungskräften erlitten viele Menschen schwere Verbrennungen und Rauchvergiftungen.

Ressort: Panorama

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Di, 07. Mai 2019: PDF-Version herunterladen

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