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"Für Betroffene ist es immer noch ein Tabuthema"

Katharina Meyer
  • Mi, 25. Juli 2018
    Deutschland

     

BZ-INTERVIEWmit Philipp Wiehle, der an der Universitätsklinik Freiburg kinderlosen Paaren zu Nachwuchs verhilft.

Philipp Wiehle  | Foto: Uniklinik Freiburg
Philipp Wiehle Foto: Uniklinik Freiburg

Immer mehr Paare in Deutschland bleiben ungewollt kinderlos. Woran das liegt, fragte Katharina Meyer den Freiburger Reproduktionsmediziner Philipp Wiehle.

BZ: Herr Wiehle, Retortenbaby – das würde heute niemand mehr sagen, der sich ein Kind wünscht. Ist die künstliche Befruchtung anerkannt in der Gesellschaft?

Wiehle: Die Menschen kennen das Verfahren, und es wird häufig in Anspruch genommen. Vor allem für Betroffene ist es aber immer noch ein Tabuthema, über das mit dem Umfeld meist nicht offen gesprochen wird.

BZ: Es gibt viele Paare, die ungewollt kinderlos sind – und es scheinen immer mehr zu werden. Wie kommt das?

Wiehle: Etwa jedes sechste Paar in Deutschland ist betroffen. Einer der Gründe für diese Zunahme ist, dass der Kinderwunsch immer länger aufgeschoben und teils zu spät angegangen wird. Da ist noch viel Aufklärungsarbeit nötig. Große Teile der Bevölkerung haben ein falsches Bild davon, ab welchem Alter die Fruchtbarkeit der Frau nachlässt. Umfragen zufolge denken viele, das sei erst ab 40 Jahren der Fall – tatsächlich nimmt sie aber bereits ab 30 Jahren ab. Dadurch suchen viele Paare bei uns erst Hilfe, wenn es fast zu spät ist.

BZ: Es gibt in den Medien viele Berichte über prominente Frauen, die auch im sehr fortgeschrittenen Alter noch schwanger werden. Verführt das?

Wiehle: Schon. Es ist den Menschen oft nicht klar, was hinter so einer Schwangerschaft steckt: Etwa ob die Frau zuvor Eizellen eingefroren hatte oder ihr eine Eizelle gespendet wurde, was in Deutschland verboten ist. Ziel muss sein, dass Paare in möglichst jungem Alter schwanger werden. Dazu sollten die sozialen und politischen Rahmenbedingungen geschaffen werden.

BZ: Wir haben viel über die Frauen gesprochen. Doch häufig liegen die Probleme ja auch beim Mann.

Wiehle: Bei gut einem Drittel der Paare, die zu uns kommen, gibt es von männlicher Seite deutliche Einschränkungen bei der Fertilität. Das nimmt auch ganz klar zu. Ob das am Lebensstil liegt oder an Umweltfaktoren, wissen wir nicht.

BZ: Sie haben die in Deutschland verbotene Eizellspende angesprochen. Die rechtliche Lage ist hierzulande restriktiver als in anderen Ländern. Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf?

Wiehle: Der gesetzliche Rahmen hierzulande lässt eine vernünftige und verantwortungsvolle Kinderwunschbehandlung durchaus zu. Im Einzelfall wirft er aber schon Probleme auf. Etwa bei Patientinnen, bei denen in jungen Jahren eine vorzeitige Menopause eintritt. Ohne Eizellspende gibt es für sie praktisch keine Therapieoption. Doch der hohe ethische Standard in Deutschland schützt uns ganz klar auch vor medizinisch unverantwortbaren Fällen wie den einer Berliner Lehrerin, die mit 65 Jahren Mutter von Vierlingen wurde – dank Eizell- und Samenspende in der Ukraine.

BZ: Eine Fruchtbarkeitsbehandlung ist leider oft auch eine Frage des Geldes...

Wiehle: Die Kosten sind leider hoch, sie liegen bei bis zu 5000 Euro pro Versuch. Die Kassen übernehmen die Hälfte der Kosten für drei Zyklen – aber nur bei verheirateten Paaren, bei denen die Frau unter 40 und der Mann unter 50 Jahre alt ist. Wir würden uns auch sehr wünschen, dass insbesondere die Situation von jungen Krebskranken berücksichtigt würde: Die Kassen zahlen weder das Einfrieren von Eizellen noch das von Spermien vor einer unfruchtbar machenden Krebstherapie. Diese Paare werden in einer Ausnahmesituation regelrecht im Regen stehen gelassen.

Philipp Wiehle, 41, ist ärztlicher Leiter der Endokrinologie und Reproduktionsmedizin an der Klinik für Frauenheilkunde des Universitätsklinikums Freiburg.

Ressort: Deutschland

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mi, 25. Juli 2018: PDF-Version herunterladen

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