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Ein "bisschen Mumm" zeigen für die Wirtschaft

Peter Nonnenmacher
  • Mo, 06. Juli 2020
    Ausland

     

Mit dieser Begründung hat der britische Premier Johnson die Pubs wieder öffnen lassen – trotz hoher Corona-Infektionszahlen.

Party auch vor den wiedereröffneten Pubs im Londoner Stadtteil Soho  | Foto: JUSTIN TALLIS (AFP)
Party auch vor den wiedereröffneten Pubs im Londoner Stadtteil Soho Foto: JUSTIN TALLIS (AFP)
So hätten Polizei und Politiker es gern gesehen: ein allein im Pub-Garten sitzender Trinker, der sein Glas artig zum Wohle des Landes hebt. Ein Zufall war es freilich nicht, dass Prinz William kein Gedränge bei seinem ersten Kneipengang dieses Sommers erlebte. Das "Rose and Crown" in Snettisham in der Grafschaft Norfolk hatte ihn zur Besichtigung der Vorbereitungen für die Wiedereröffnung eingeladen. Ganz so sah es in Londons Stadtteil Soho nicht aus, als an diesem Wochenende, erstmals seit März, die Kneipen Englands wieder öffnen durften: Dichtes Gedränge herrschte in den Straßen des Viertels. Abstandhalten war schwierig. Es sei ja wohl "glasklar, dass Betrunkene keine soziale Distanzierung wahren können oder wollen", brummte der Vorsitzende des britischen Polizeibundes, John Apter. Dabei hielten sich andernorts Pub-Gänger durchaus vorsichtig an die neuen Bestimmungen, viele Gruppen wahrten mehr oder weniger Distanz.

Überall wurden, wie vorgeschrieben, Namen und Telefonnummern an den Türen notiert. Plastik-Trennscheiben und Pub-Bedienstete mit Schutz-Visieren machten den Besuch im vertrauten "local" zu einem leicht spukhaften Geschehen. Nur gelegentlich meldete die Polizei besorgniserregendes Gedränge oder sogar örtliche Krawalle.

Mit einigem Bangen hatte Premierminister Boris Johnson bei diesem "bisher größten Schritt" zur Lockerung des Lockdown den Folgen der erneuten Betriebserlaubnis für 35 000 englische Pubs und Bars entgegen gesehen. Zugleich durften Restaurants, Vergnügungsparks, Museen, Frisöre und Kinos wieder zum Besuch einladen. Es sei Zeit, dass seine Landsleute wieder Spaß hätten, fand der Regierungschef. Und dass sie "ein bisschen Mumm" zeigten bei der Unterstützung der notleidenden Gastronomie-Betriebe. "Wir dürfen sie nicht im Stich lassen."

Etliche Kinoketten wollen jedoch erst "nach und nach" ihre Türen wieder öffnen. Und auch manche Pubs nehmen sich lieber etwas Zeit. Martin Whelan, Geschäftsführer von acht Pubs in London, erklärte dazu, er könne seine Kneipen "nicht guten Gewissens" wieder öffnen, solange das Coronavirus noch auf relativ hohem Niveau in Großbritannien umgehe und kein befriedigendes Testsystem zur Verfügung stehe. Mehrere seiner Mitarbeiter seien bereits am Virus erkrankt und in Lebensgefahr gewesen: "Das ernüchtert doch sehr."

In der Tat dürfte die Zahl der täglichen Ansteckungen im Vereinigten Königreich noch immer bei über 3000 liegt. Die offizielle Zahl der positiv Getesteten ist exakt so hoch wie am 20.März – dem Tag der Schließung der Pubs. Der medizinische Chef-Berater der britischen Regierung, Professor Chris Whitty, hat denn auch gewarnt, dass man "das Virus noch lange nicht los" sei in Großbritannien. Man finde sich auf "einer Gratwanderung" zwischen wirtschaftlichen und Gesundheitsinteressen. In Wales und Schottland sind die Pubs fürs Erste noch zu.

Ärger handelte sich derweil der Führer der Brexit-Partei, Nigel Farage, ein, der am Samstag stolz ein Bild von sich als dem ersten Gast in seinem Pub – mit dem Pint-Glas in der Hand – ins Netz stellte. Farage war jüngst mit Sondergenehmigung der Trump-Administration nach Oklahoma gereist, um dort an der Wahlkampf-Rally des US-Präsidenten in Tulsa teilzunehmen. Er war noch keine volle 14 Tage zurück und wäre nach britischem Recht verpflichtet gewesen, bei sich zuhause in Quarantäne zu bleiben. Die Polizei wurde aufgefordert, dem Verstoß nachzugehen.

Ressort: Ausland

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mo, 06. Juli 2020: PDF-Version herunterladen

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