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Das Abitur ist ganz nah. Teil 5

ANFANG VOM ENDE: Blackout oder leere Batterien

  • Fr, 25. April 2003
    Zisch

     

Was ist bloß los? Jugendliche lehnen mit müdem Lächeln ein Bierchen ab, ja, jedweden Alkohol, verlassen gar schon vor Mitternacht die fetzigsten Osterpartys, die Mädels lassen das superscharfe bauchfreie Top im Kleiderschrank (was wäre jetzt schlimmer als eine Blasenentzündung?) und im Schreibwarengeschäft fragen sie verlegen nach einem Geodreieck. Der Grund für dieses untypische Verhalten ist nahe liegend: in kümmerlichen 96 Stunden wird in Baden-Württemberg Abitur geschrieben.

Der Adrenalinpegel erreicht mittlerweile längst schon astronomische Höhen und sowieso sind sich wohl alle einig - wie vermutlich die Jahrgänge zuvor auch -, dass dieses Abitur natürlich das schwierigste sein wird, dass die Aufgaben die verworrensten und die vorgelegten Texte niederschmetternd kompliziert sein werden. Mutmaßungen über fiese Aufgabenstellungen von dem noch fieseren Oberschulamt kursieren. Und Horrorszenarien angefangen vom Stromausfall ("Müssen wir dann im Dunklen schreiben?") über zufällig abgeschlossene Toiletten ("Sechs Stunden schreiben müssen, ohne einmal auf die Toilette gehen zu können?") bis hin zum banalen Hungerast und dem zwingend darauf folgenden Blackout werden geradezu heraufbeschworen.

Hinzu kommen die ganz persönlichen Sorgen jedes Einzelnen: Was, wenn die Taschenrechnerbatterie ausgerechnet mitten im Mathe-Abi ihren Geist aufgeben sollte? Was, wenn ausgerechnet der Klassenkamerad neben einem sitzen sollte, der berüchtigt ist für sein dem Plätschern der Dreisam ähnelndes Kaugummikatschen? Oder wenn man nie mehr endenden Schluckauf bekommen sollte? Wenig nutzen da die gut gemeinten Abwiegelungen und Ratschläge der Verwandten. Und tröstende Worte der besorgten Oma ("Es haben ja schon Millionen das Abitur unbeschadet überstanden.") perlen ab wie Wasser auf Butter.

"Es haben schon Millionen das Abitur überstanden." Großmutter, um Trost bemüht

Doch Massenhysterie verbindet. Man bemitleidet sich gegenseitig, schenkt sich putzige Glücksbringer und sehnt den gigantischen Abiball herbei, der die stundenlangen Lern-Orgien schließlich wettmachen wird. Davor überstehen wir mit nur geringfügig beschleunigtem Puls die nervigen Äußerungen à la "also die Sekundärliteratur von Klett sieht das aber anders als die von Stark", werfen einen letzten Blick in die Chronologie der Deutschlandpolitik und schütteln den Kopf über diesen Nimmersatt Faust, der einfach alles wissen will. Dann wird das Buch zugeklappt. 13 Schuljahre sind überstanden. Was soll denn da am Montag noch schief laufen? Also, Augen zu und durch.

Eva M. Müller

Ressort: Zisch

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 25. April 2003: PDF-Version herunterladen

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