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Wie tolerant ist Freiburg?

  • Frederik Baumann

  • Mi, 19. Mai 2010
    Neues für Schüler

     

Eine Fudder-Umfrage unter Menschen, die sich mit dieser Frage öfters auseinandersetzen müssen als andere.

Ismael Foto: Frederik Baumann
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Die Stadt Freiburg gibt sich gerne weltoffen und liberal. Aber sind die Menschen in Freiburg wirklich so tolerant? Fudder-Autor Frederik Baumann wollte das von vier Freiburgern wissen, die sich öfters als andere mit dieser Frage auseinandersetzen müssen: Mike ist schwul, Fabian trägt mehr als 40 Piercings, Ismael ist körperlich behindert und Alexis kommt aus Schwarzafrika.

MIKE, 27, IST SCHWUL

"Freiburg ist in der letzten Zeit immer toleranter geworden. Wenn ich mit meinem Freund Hand in Hand durch die Stadt gehe, werden wir hin und wieder noch angeschaut. Nicht nur von Älteren, auch von Jüngeren. Vor fünf Jahren war das aber noch schlimmer. Damals drehten sich reihenweise die Passanten nach uns um. In meinem engeren Umfeld wird meine Homosexualität akzeptiert. Hauptsächlich sieht man in mir die Person mit ihrem Charakter, also den Bruder, den Cousin, den Kumpel, den Pfleger.

Leider existiert keine Bar mehr wie das "Tiffanys". Zwar gibt’s noch die "Sonderbar", aber die ist wirklich sehr klein und im "Les Gareçons" im Bahnhof ist man nicht unter sich. Ein "Tiffanys" gehört hier wieder her. Ein kleiner Club, in dem man sich auch mal abends auf ein Glas Sekt treffen kann. In Freiburg kennt jeder jeden. Manchmal ist das ganz nett, manchmal aber auch nervig. Um sich als Schwuler hier richtig wohlzufühlen, fehlt es an vielen anderen Schwulen und vielen Vereinen, Läden und Clubs, die unterm Regenbogen stehen."

FABIAN, 21, HAT MEHR ALS 40 PIERCINGS

"Die Freiburger sind relativ tolerant. Wenig tolerant sind aber oft die Leute, von denen man nicht glauben würde, dass sie einen anstarren würden. Es sind eher solche, die selbst ein Höchstmaß an Toleranz erwarten und den anderen selbst kein Stück davon entgegenbringen. So hab ich das zum Beispiel auf Schwulenpartys erlebt.

Im Moment arbeite ich in einer Seniorenwohnanlage. Die Leute dort haben kein Problem mit meinen Piercings. Klar kommt ab und zu die Frage: "Tut das nicht weh?" Oder: "Stört das nicht beim Essen und Küssen?" Mich stört es überhaupt nicht. Denn Piercings sind für mich ein Schmuck und ein Super-Trick, bevorzugte Körperstellen zu betonen und andere zu kaschieren.

Komisch reagieren Leute eher, wenn ich meine Schmucknarben zeige. Dafür haben die wenigsten Verständnis, da wird auch gegafft. Ich erinnere mich, wie eine sehr gute Freundin von mir richtig sauer wurde und meinte: "Bist du bescheuert? Was kommt als nächstes? Willst du dich an Fleischerhaken aufhängen?"

Freiburg werde ich wahrscheinlich bald verlassen. Mich nervt diese "möchtegern-grüne Haltung" einfach. Scheinbar wird hier ja alles toleriert. Aber in welchen Situationen soll das gelingen, wenn selbst die Menschen, die Toleranz erwarten, keine für andere übrig haben?" ISMAEL SITZT WEGEN EINES GENFEHLERS IM ROLLSTUHL

"Freiburg ist schon eine einigermaßen tolerante Stadt. Mir gegenüber hat sich noch niemand diskriminierend geäußert. Im Gegenteil: Die Menschen begegnen mir größtenteils mit Respekt und Offenheit. Das soll aber nicht heißen, dass alle total tolerant und offen sind. In Freiburg gibt man sich gerne weltoffen, solange es einen nicht unmittelbar betrifft. Man geht zum Beispiel gern beim Türken etwas essen, wenn dieser mit seiner Familie nicht gleich nebenan wohnt. Hier sehe ich auf jeden Fall noch Handlungsbedarf, um solche Mauern einzureißen.

Alles in allem sind dies aber eher kleinere Probleme. In anderen Städten gibt es mit Diskriminierung und Toleranz viel größere Schwierigkeiten. Obwohl mich ein paar Kleinigkeiten stören, fühle ich mich hier dennoch sehr gut aufgehoben."

ALEXIS STAMMT VON DER ELFENBEINKÜSTE

"Ich habe in Freiburg nicht nur positive Erfahrungen gemacht. Ab und zu schauen mich sowohl jüngere als auch ältere Bürger komisch an. Es ist schwierig, das in Worte zu fassen, aber manchmal werde ich anders behandelt. Bei der Wohnungssuche zum Beispiel. Vermieter geben hier nicht selten Europäern den Vorzug. Aber auch bei Gruppenarbeiten an der Universität sind schon seltsame Dinge passiert. Einmal wurde ich ausgelacht, weil Deutsch nicht meine Muttersprache ist und ich der deutschen Sprache nicht so mächtig bin wie gebürtige Deutsche.

Schwachstellen bei der Integration gibt’s daher immer noch zu viele. Die Menschen müssen aufhören, mit uns Dunkelhäutigen nur Krieg, Armut und Kriminalität zu assoziieren. Diese Themen haften uns leider noch zu sehr an. Wir können genauso studieren, arbeiten und Kinder erziehen wie andere auch!"

Eine spannende Diskussion zum      Thema könnt Ihr verfolgen auf      fudder.de/toleranz

Ressort: Neues für Schüler

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mi, 19. Mai 2010: PDF-Version herunterladen

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