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Zischup

Was macht eigentlich Rainer Stickelberger heute?

  • Milo Kockelkorn, Klasse 9a, Hebel-Gymnasium (Lörrach)

  • Mi, 27. März 2024, 15:16 Uhr
    Schülertexte

Rainer Stickelberger war vor seiner Pension der Bürgermeister von Weil am Rhein, Landtagsabgeordneter und baden-württembergischer Justizminister im 1. Kabinett von Winfried Kretschmann.

Rainer Stickelberger  | Foto: Privat
Rainer Stickelberger Foto: Privat
Um herauszufinden, wie der gebürtige Lörracher heutzutage auf seine politische Karriere zurückblickt, und wie es ihm heute geht, hat Zischup-Reporter Milo Kockelkorn mit ihm gesprochen.

Zischup: Herr Stickelberger, viele Jugendliche fragen sich sicher, wer Sie sind. Wie würden Sie sich vorstellen?

Stickelberger: Ich bin in Weil aufgewachsen und habe mein Abitur in Lörrach gemacht, dann in Freiburg Jura studiert und war dann als Richter tätig. Danach war ich Bürgermeister in Weil und später Rechtsanwalt. Ich bin dann 20 Jahre als Abgeordneter im Landtag gewesen und war unter anderem auch fünf Jahre Justizminister in der ersten und bisher einzigen grün-roten Landesregierung in Baden-Württemberg. Nach einem abwechslungsreichen Berufsleben bin ich jetzt im Ruhestand und habe die Möglichkeit, andere Interessen wahrzunehmen.

Zischup: Sie haben gerade gesagt, dass Sie Jura studiert haben. Warum haben Sie sich genau für diesen Studiengang entschieden?
Stickelberger: Mich hat schon in der Schule immer das Rechtliche interessiert und das hat dann zu diesem Studiengang geführt.

Zischup: Wann hatten Sie das erste Mal den Gedanken: Ich will in die Politik?

Stickelberger: Das war eigentlich nicht so früh, ich habe mich zwar sehr früh für Politik interessiert und bin auch mit 20 Jahren in die SPD eingetreten, aber hauptberuflich in die Politik zu gehen, war weit weg. Die Idee kam erst, als ich Richter in Freiburg war und in Weil die Bürgermeisterstelle frei geworden ist. Zu dem Zeitpunkt hatte ich das Gefühl, ich könnte wieder mal etwas Neues machen. In einer politischen Funktion kann man auch mehr gestalten, als Richter hatte man
immer Fälle, die entschieden werden mussten. In einer
politischen Funktion wie dem Bürgermeisteramt kann man Weichen stellen, Projekte entwickeln, Vorhaben realisieren und das hat mich so sehr gereizt, dass ich
dann gewechselt habe.

Zischup: Sie haben vorhin schon beschrieben, wie viele Berufe Sie ausgeübt haben. Haben Sie einen Favoriten?

Stickelberger: Alle paar Jahre hat mich immer ein
Wunsch nach Veränderung gedrängt, etwas Neues zu machen. Ich konnte mir nie vorstellen, 40, 50 Jahre die gleiche Tätigkeit zu machen, und habe dann immer
wieder gewechselt. Die spannendste Berufszeit war sicher die des Bürgermeisters wegen der Vielfalt und die Zeit als Minister, weil man da in der obersten Kategorie der Politik mitgespielt hat. Aber die anderen Berufe waren auch spannend und ich habe in jedem Beruf wieder Neues gelernt.

Zischup: Haben Sie bestimmte Personen in Ihrer Jugend besonders geprägt?

Stickelberger: Bei uns im Elternhaus wurde immer viel Politik diskutiert. Meine Großmutter war sehr politisch, mein Vater war politisch engagiert. Das hat abgefärbt und in der Schule hatte ich immer Geschichte- und Gemeinschaftskundelehrer, die das sehr gut vermittelt haben. Das hat auch dazu beigetragen.

Zischup: Im Alter von 20 Jahren traten Sie der SPD bei. Wenn Sie heute wieder 20 Jahre alt wären und vor der Wahl stünden, in welche Partei Sie eintreten wollten, würden Sie wieder in die SPD eintreten?

Stickelberger: Das ist eigentlich die schwierigste Frage, die Sie mir stellen konnten. Wahrscheinlich ja, weil die SPD immer von ihrem Programm und auch den Personen her dem am nächsten kam, was ich mir politisch vorstelle, wie man vor allem Sozialpolitik macht, auch für ärmere Leute. Das war für mich wichtig, aber hundertprozentig zufrieden mit der eigenen Partei ist man eigentlich nie. Aber es gibt ein großes Maß an Übereinstimmung.

Zischup: Dass Sie auch nicht immer hundertprozentig mit Ihrer Partei einer Meinung waren, hat man auch daran gesehen, dass Sie 2011 als einziger SPD-Minister gegen Stuttgart 21 gestimmt haben. Wie viel Überwindung hat es Sie damals gekostet, sich damit zum
Außenseiter in Ihrer Partei zu machen?

Stickelberger: Ich habe damals sehr stark die Auffassung vertreten, dass, wenn alles Geld und alle Investitionen in den Raum Stuttgart fließen, das auf Kosten unserer Region hier geht. Unsere Region hier ist am weitesten weg von Stuttgart und man sieht jetzt, wie lange die Projekte gebraucht haben, wie beispielsweise die Schnellbahntrasse, die ja immer noch nicht fertig ist. Das war meine Befürchtung. Auch die Finanzierung schien mir ungewiss und da war vieles, was mich zum Gegner des Projektes gemacht hat. Nicht, weil ich das Projekt unbedingt schlecht fand, aber diese einseitige Konzentration auf den Stuttgarter Raum empfand ich für uns als schlecht. Damit stand ich der Mehrheitsmeinung meiner Partei entgegen. Das war eine schwierige Situation und hat mir auch dann entsprechende Kritik eingetragen. Dazu stehe ich, aber es war nicht immer leicht.

Zischup: Haben Sie dies schon als Ihre größte politische Herausforderung in Ihrem Leben empfunden?

Stickelberger: Schwierige Herausforderungen waren Personalentscheidungen, insbesondere im sensiblen Bereich der Gefängnisse, für die man als Justizminister zuständig ist. Hierbei geht es darum, den Ausgleich zu finden zwischen einer ordentlichen Unterbringung von Gefangenen mit Perspektive und dem Schutz der Bevölkerung auf der anderen Seite. Das Thema Stuttgart 21 war aber sicher das politisch Gravierendste.

Zischup: 2021 erhielt die SPD nur elf Prozent der Stimmen. Zehn Jahre zuvor kam die SPD allerdings auf über 22 Prozent der Stimmen. Wie erklären Sie sich diesen drastischen Abfall?

Stickelberger: Die SPD in Baden-Württemberg lag in den letzten Jahrzehnten immer circa fünf Prozent unter dem Durchschnitt der Bundes-SPD, ihre Entwicklung war immer auch nur ein Reflex der Bundesentwicklung. In Baden-Württemberg hat sich aber verstärkt ausgewirkt, dass die Grünen sehr stark wurden und wir es plötzlich mit einer dritten Partei zu tun hatten, die neben CDU und SPD eine große Rolle spielte. Dann hatten die Grünen mit Kretschmann eine Führungsperson, die viele – auch konservative – Wähler überzeugt hat. Die SPD hatte auch lange unter den Reformen von Gerhard Schröder zu kämpfen, die viele Leute auch in der eigenen Partei als kritisch empfunden haben.
Außerdem die großen Koalitionen mit der CDU, bei denen für viele Leute gar nicht so deutlich war, wodurch
sich eigentlich CDU und SPD unterscheiden. Diese mangelnde Profilierung war sicher auch ein Grund. Da kam also ganz viel zusammen und das hat schlussendlich zu der jetzigen Situation beigetragen.

Zischup: In letzter Zeit hat die AfD stark zugelegt. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Stickelberger: Ich sehe die Entwicklung mit großer
Sorge, weil wir einen Vertrauensverlust in die demokratischen Parteien sehen und sich immer mehr Menschen von der amtlichen Regierungspolitik abwenden, kritisch sind und bereit sind, auf Parolen der AfD zu reagieren. Da hilft meines Erachtens nur, dass die Politik der demokratischen Parteien überzeugender werden muss, Entscheidungen schneller fallen müssen und sie den Bürger nicht überfordern dürfen.

Zischup: Haben Sie vor der Rente jemals daran gedacht, mit der Politik abzuschließen?

Stickelberger: Abzuschließen nicht, aber der Gedanke,
dass die Politik für mich zumindest hauptberuflich aufhört, war natürlich immer da, weil man als Abgeordneter für fünf Jahre gewählt wird und man nie weiß, ob man wiedergewählt wird. Ich habe es zwar 20 Jahre
lang immer wieder geschafft, aber sicher konnte man da nicht sein. So gesehen musste ich auch immer in Abschnitten von einigen Jahren denken.

Zischup: Vermissen Sie manchmal Ihre Zeit als aktiver Politiker?

Stickelberger: Nein, ich denke gern daran zurück, aber es fehlt mir nicht. Ich habe jetzt auch das entsprechende Alter, sehe vieles mit Interesse aus der Distanz, aber die aktive Politik ist für mich abgeschlossen. Das ist auch richtig so, weil dann Jüngere nachrücken können.

Zischup: Hätten Sie, rückblickend betrachtet, in Ihrer politischen Karriere etwas anders machen wollen?

Stickelberger: Vieles würde ich heute sicher anders
beurteilen, aber ich würde nichts fundamental anders machen. Aber eines ist klar, ich würde zum Beispiel auf Kritik, die ja im politischen Raum immer eine große Rolle spielt, heute viel gelassener reagieren.

Zischup: Sind Sie noch politisch aktiv?

Stickelberger: Ich bin noch einfaches Mitglied meiner Partei und nehme da an Veranstaltungen teil, aber die vorderste Reihe besetze ich nicht mehr.

Zischup: Womit vertreiben Sie sich Ihre Zeit?

Stickelberger: Ich mache, was ich schon immer wollte, vor allem mehr Sport als früher. Ich habe vor, noch intensiver Spanisch zu lernen, was ich vor einigen Jahren angefangen habe. Außerdem mache ich noch stundenweise eine kleine Nebentätigkeit, die mich fit hält.

Zischup: Möchten Sie zum Ende noch etwas loswerden?

Stickelberger: Ja, einen Wunsch: Ich wünsche mir, dass sich junge Leute frühzeitig für Politik interessieren und sich dann auch engagieren. Gerade sie sind von der Politik für die nächsten Jahrzehnte noch mehr betroffen als die Älteren. Wenn man nur bedenkt, was im Schulwesen passiert, betrifft das die Jüngeren viel mehr als die Älteren. Was sind die Anforderungen für
die Zukunft? Die sind gewaltig für die jungen Leute, und ich würde mir wünschen, dass sie sich im öffentlichen Leben engagieren, sich dafür interessieren und sich dann auch einmischen.

Zischup: Haben Sie eine Idee, wie man die Politikverdrossenheit bekämpfen kann?

Stickelberger: Mit viel Information, auch mit kontroversen Diskussionen, mit der Bereitschaft, sich von
Parolen abzulösen und auf Argumente einzugehen. Das ist ein mühsamer Prozess und setzt gerade bei vielen Erwachsenen auch die entsprechende Bereitschaft voraus. Das wird schwierig.

Ressort: Schülertexte

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