Account/Login

Entscheidung

Tabaklobby bearbeitet das Europaparlament bis zuletzt

  • Daniel Weingärtner

  • Di, 08. Oktober 2013, 15:00 Uhr
    Neues für Schüler

     

Das Europaparlament entscheidet über die Bilder, mit denen vor den Gefahren des Rauchens gewarnt wird. Die Tabaklobby versucht bis zuletzt, die Abgeordneten in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Geht es nach der EU-Kommission, werden...Zigarettenschachteln noch drastischer.  | Foto: dpa
Geht es nach der EU-Kommission, werden die Aufdrucke auf Zigarettenschachteln noch drastischer. Foto: dpa
"Rauchen gefährdet Ihre Gesundheit", die Worte sollen künftig noch größer und drastischer ins Auge springen, Fotos sterbenskranker Menschen den abschreckenden Effekt möglichst noch verstärken. Vor allem aber soll es der Tabakindustrie verboten werden, mit Geschmacksstoffen oder coolen Verpackungen junge Menschen zum Kauf und Konsum von Zigaretten zu verführen.

Nach wochenlangen turbulenten Debatten steht eine entsprechende Vorlage der EU-Kommission am heutigen Dienstag im EU-Parlament in Straßburg zur Abstimmung. Viele Abgeordnete fühlten sich in den vergangenen Wochen in nie gesehenem Ausmaß von Vertretern der großen Tabakkonzerne bedrängt. Beobachter vermuteten, dass die Abstimmung auf Druck der Tabaklobby von Anfang September auf die Oktobersitzung vertagt wurde.

Auch die Entlassung von Gesundheitskommissar John Dalli vor einem Jahr wird mit dessen Weigerung in Verbindung gebracht, die Tabakrichtlinie industriefreundlicher zu gestalten. Jeder aufgeschobene Monat ist für die Branche bares Geld, denn sie fürchtet Umsatzeinbußen, wenn das neue Gesetz in Kraft tritt.

Sollten die Bremsmanöver dazu führen, dass die Verhandlungen mit dem Rat, der die Mitgliedsländer vertritt, bis Jahresende nicht abgeschlossen werden können, wäre das ein Grund zum Feiern für Philip Morris und Co. Am 1. Januar beginnt die griechische Ratspräsidentschaft, von der ein offeneres Ohr für die Anliegen der Tabakindustrie erwartet wird. Griechische Tabakbauern profitieren von EU-Subventionen.

Am Montagmorgen fanden Journalisten und Politiker noch einmal einen dramatischen Appell in ihrer Mailbox, doch bitte die Sorgen und Nöte der betroffenen Branche nicht zu vergessen: Fast 1,5 Millionen Menschen verdienten in der EU ihr Geld direkt oder indirekt mit Tabak, der Anbau fördere die ländliche Entwicklung und sei eine der wenigen Branchen, die noch Exportüberschüsse erwirtschafte. Natürlich habe die Gesundheit Vorrang. Aber Zwang und Verbote seien keine Lösung, förderten vielmehr kriminelle Aktivitäten wie den Zigarettenschmuggel. Schon jetzt entgehe den EU-Staaten durch Schmuggelware ein Steueraufkommen von zehn Milliarden Euro jedes Jahr.

Eine dreiste Argumentationskette, wenn man bedenkt, dass die Tabakkonzerne selbst in Verdacht stehen, einen Großteil der Schmuggelware an der Steuer vorbei illegal in die EU zu importieren. Nach eigenen Angaben hat Philip Morris vergangenes Jahr zwischen 1,0 und 1,25 Millionen Euro ausgegeben, um den EU-Institutionen den Standpunkt der Tabakindustrie deutlich zu machen. Nichtregierungsorganisationen beschwerten sich jüngst in einem offenen Brief an Parlamentspräsident Martin Schulz "über den erstaunlichen Umfang an Begegnungen zwischen Europaabgeordneten und Tabaklobbyisten". 233 der insgesamt 754 Abgeordneten hätten sich einmal oder mehrfach mit einem Vertreter von Philip Morris getroffen, Begegnungen mit anderen Tabakkonzernen nicht mitgerechnet.

Die belgische Tageszeitung Le Soir enthüllte eine Sympathielandkarte des Unternehmens, auf der Abgeordnete je nach dem Grad ihrer Zugänglichkeit für die Argumente der Branche markiert waren. Die grüne Europaabgeordnete Rebecca Harms beschuldigt eine Gruppe konservativer und liberaler Abgeordneter, sie hätten sich Änderungsanträge direkt von den Lobbyisten in die Feder diktieren lassen. Sie bezieht sich auf die Forderung nach kleineren Warnaufdrucken auf den Packungen, keine Apothekenpflicht für tabakfreie Nikotinprodukte wie E-Zigaretten und kein Verbot für den Zusatzstoff Menthol.

Die polnische Konservative Jolanta Hibner setzt sich besonders dafür ein, dass Menthol erlaubt bleibt. In ihrem Heimatland werden im EU-Vergleich die meisten Mentholzigaretten produziert und konsumiert. "Menthol wird schließlich auch in Zahnpasta verwendet. Es gibt keine Hinweise auf schädliche Nebenwirkungen", sagte sie Journalisten. Dass Menthol schädlich ist, behauptet die EU-Kommission nicht, die das Verbot in den Gesetzentwurf geschrieben hat. Sie will Zusatzstoffe verbieten, weil sie den Tabakgeschmack überdecken und Zigaretten für Neueinsteiger schmackhafter machen. Aus genau diesem Grund kämpft die Tabaklobby darum, das Verbot zu kippen. Heute wird sich in Straßburg zeigen, ob die Branche mit ihren Millionen die Parlamentarier hat beeinflussen können.

Ressort: Neues für Schüler

Artikel verlinken

Wenn Sie auf diesen Artikel von badische-zeitung.de verlinken möchten, können Sie einfach und kostenlos folgenden HTML-Code in Ihre Internetseite einbinden:

© 2024 Badische Zeitung. Keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben.
Bitte beachten Sie auch folgende Nutzungshinweise, die Datenschutzerklärung und das Impressum.

Kommentare


Weitere Artikel