Die Waffenstillstandslinie zerreißt Familien und Ortschaften – sie könnte eine neue Bruchlinie zwischen West und Ost werden: In der Ostukraine herrscht Stellungskrieg.
In der Nacht betet Nina Gratchowa, dass der Tod gnädig ist. Sie hofft auf einen Volltreffer, der die 87-Jährige und ihre 93 Jahre alte Schwester auslöschen wird. Keine abgetrennten Gliedmaßen, kein Wimmern unter Trümmern, nur Ruhe. In ihrer Straße in der Stadt Stanitsa Luhanska hat es schon das Haus auf der anderen Straße getroffen. Ihre eigene Hauswand ist mit Pockennarben ähnelnden Kratern übersät. Nina Gratschowa schlurft in Pantoffeln auf die Helfer der ukrainischen Organisation Vostok SOS zu. Mit ihren dünnen Ärmchen greift sie nach einem der jungen Männer. "Spasiba", "Danke", sagt sie auf Russisch. Dann fließen die Tränen.
Nina Gratschowas Geschichte gleicht dem, was die Helfer von Vostok SOS an diesem Tag oft gehört haben. Alte, vor allem Frauen, zurückgelassen in einer Geisterstadt erzählen, wie sie ohne Hilfe nicht überleben könnten. Die meisten Familien haben den Ort verlassen, an dem zu jeder Tages- oder Nachtzeit Granaten vom Himmel regnen können. Die Tränen der Alten fließen vor Dankbarkeit oder Scham, wenn die Aktivisten ihre Pakete mit Sonnenblumenöl, ...