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Sanftes Kätzchen, kratziger Kater

  • Margarete Jacob

  • Do, 10. April 2003
    Zisch

     

JUZ IM MUSIKTHEATER (4): Die Freiburger Inszenierung von George Bizets "Carmen" ist eine Tragödie mit Lacheffekten.

Im Musikunterricht gehört George Bizets bekannteste Oper zum Standardprogramm. Da bietet es sich an, die betörende "Carmen" einmal live auf der Bühne zu erleben. Gelegenheit dazu gibt es derzeit im Theater Freiburg. Abgesehen von der Hauptdarstellerin und der Musik hat die Inszenierung von Vera Nemirova aber wenig mit dem Klassiker aus dem Musikunterricht gemein.

Diese Geschichte einer Zigeunerin, die allen Männern den Kopf verdreht, betörend singt, zum Klang spanischer Kastagnetten tanzt und trotz aller Bewunderung, die ihr entgegengebracht wird, nie glücklich ist. Diese geheimnisvolle Carmen, die kaum zu fassen und zu erklären ist und gerade deshalb so fasziniert. Sie singt von großen Gefühlen und Leiden, mal zischend, mal schmeichelnd, und zieht mit anmutigen Bewegungen jeden in ihren Bann. Sagt, dass die Liebe wie ein Vogel sei, nicht aufzuhalten, wenn er von dannen fliegt. Spricht von gefährlicher Leidenschaft.

Dabei wirkt Ekaterina Pavliashvili als Carmen überhaupt nicht bedrohlich, wenn sie im Theater Freiburg zum ersten Mal auf die Bühne hüpft. In ihrem knielangen Kleidchen und den flachen Turnschuhen erscheint sie wie ein unbekümmertes junges Mädchen, das die Wärme eines Sommertages in der Stadt genießt. Ebenso ihre Kolleginnen, die Arbeiterinnen in der Zigarrenfabrik: süß und niedlich sehen sie aus in ihren sommerlich-leichten Outfits.

"Wenn ich dich liebe, nimm dich in Acht." Carmen, Fabrikarbeiterin

Das Bühnenbild: eine moderne Wohnsiedlung, ein Basketballplatz inmitten der anonymen Hochhäuser, deren Fenster mit Jalousien halb verschlossen sind. An Sevilla, den Originalschauplatz der Oper, erinnert hier kaum etwas. Doch als Carmen zu singen beginnt, ist sie so, wie man sie sich vorstellt: Sie spielt mit ihrer Stimme, ist mal sanft wie ein anschmiegsames Kätzchen, mal kratzig wie ein Kater, der die Krallen ausfährt. Auch weiß sie, ihre Reize einzusetzen. Alle Soldaten in den amerikanisch anmutenden Uniformen, die auf dem Platz Wache halten, liegen ihr zu Füßen - fast alle. Abseits, auf einer Bierbank sitzt Don José alias Stanislas Arráez und scheint nicht recht interessiert an Carmens Auftritt. Vielleicht ist er auch nur zu schüchtern, um sie anzusehen. Alle anderen tun es, wie gebannt auf dem Boden liegend und zu ihr aufblickend.

Dass sie einer nicht ansieht, ist Carmen nicht gewohnt. Mit forschen Schritten gesellt sie sich zu Don José ins Abseits: "Si je t'aime, prends-garde à toi", wenn ich dich liebe, nimm dich in Acht. Diese Aussage ist Programm.

Aber wie könnte sich der schüchterne und etwas biedere Don José der Anziehungskraft der schönen Carmen entziehen? Hoffnungslos verfällt er ihr. Da spielt es auch keine Rolle mehr, dass seine Mutter ihn für eine Heirat mit der kleinen Micaela vorgesehen hat. In einem Jeansröckchen und mit langen Zöpfen kommt diese auf einem Fahrrad angeradelt. Reizend sieht das Mädchen aus mit ihrem blonden Haar, sie ist es auch. Und nicht nur äußerlich ist sie der absolute Gegensatz zur schwarz gelockten Carmen. Zurückhaltend und bescheiden überbringt Micaela Don José die Nachricht der Mutter, und wartet geduldig ab, was geschieht.

Carmen wartet auch - wenn auch nicht geduldig und schon gar nicht gerne - auf Don José in der Kneipe eines schmuggelnden Freundes. Die Bar mutet wie ein Casino im Rotlichtmilieu an. Zwei Tischdamen strippen. Die Herren widmen sich, um einen runden Tisch platziert, dem Glücksspiel. Eine Szene mit Lacheffekt: Dem Tisch entsteigen zwei verdächtige Gestalten, Schmuggler, die den Blues Brothers zum Verwechseln ähnlich sehen. Jene modernen und fast heiteren Elemente der Inszenierung und des Bühnenbilds stehen im Kontrast zu Carmen, die liebt, kämpft, leidet, verzweifelt und so gar nicht heiter ist. Neben ihr wirken die anderen Charaktere schwach und farblos. Vielleicht auch deshalb, weil Carmen die Einzige ist, der die Regisseurin Vera Nemirova das Recht auf folkloristische Kleidung zugesteht, auf Rüschen und wallendes Haar à la Zigeunerin. Leben, Liebe und Tod verlangen Ernsthaftigkeit und Dramatik. Entsprechend ist die Musik mal aufbrausend, mal übermächtig und temperamentvoll.

So auch zum Schluss, der Carmens Tod bedeutet: in einem prachtvollen andalusischen Kleid trifft sie vor einer Stierkampfarena auf Don José, der mit einem Auto vorfährt. In der Arena jubeln die Massen dem Matador zu. Vor der Arena beendet Don José Carmens Leben mit einem Messer. Die erhoffte Erfüllung durch Liebe konnte ihr der biedere Don José nicht geben und auch kein anderer.

Ressort: Zisch

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Do, 10. April 2003: PDF-Version herunterladen

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