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Interview

Manuel Neuer: "Wir können schon was aushalten"

René Kübler
  • Di, 08. Juli 2014, 08:08 Uhr
    Fußball-WM

     

Manuel Neuer begeistert bei der WM mit seinem modernen, riskanten, teils spektakulären Spiel. Deutschlands Tormann im BZ-Interview.

Manuel Neuer: „Man kann Turniere...d gute Defensivarbeit gewinnen.“  | Foto: dpa
Manuel Neuer: „Man kann Turniere nur über eine stabile und gute Defensivarbeit gewinnen.“ Foto: dpa

Vor Beginn der Fußball-WM war Manuel Neuers Einsatz ungewiss. Eine Schulterverletzung zwang ihn zur Tatenlosigkeit. Inzwischen ist der 28-jährige Torwart der Rückhalt des deutschen Teams. Im Gespräch mit René Kübler hebt der Bayern-Profi die Bedeutung einer zuverlässigen Defensivleistung hervor. Er erklärt den Verlust des schönen Spiels und bedauert das Fehlen Neymars im Halbfinale an diesem Dienstag gegen Brasilien (22 Uhr/MESZ).

BZ: Herr Neuer, während unseres Gesprächs im Trainingslager in Südtirol waren Sie stark lädiert. Ihre WM-Teilnahme schien wegen einer Schulterverletzung gefährdet. Jetzt sitzen Sie als Leistungsträger hier. Hatten Sie nie Zweifel?
Neuer: Zweifel gab es 48 Stunden. Nach der endgültigen Diagnose gab es keine mehr. Ich hatte ein klares Ziel vor Augen. Wenn man sich zu viele Gedanken macht, schont man sich. Das wollte ich nicht. Als ich wieder im Torwarttraining war, habe ich es vom ersten Tag an durchgezogen. Das war die beste Strategie.

BZ: Dann können Sie jetzt ja zwischen den WM-Spielen zur Ablenkung mal Tennis spielen. Sie sollen das ja ausgezeichnet beherrschen.
Neuer: Ich habe tatsächlich zu meinem 14. Lebensjahr auch Tennis gespielt, sogar ganz ordentlich. Allerdings glaube ich nicht, dass das meiner Schulter gerade gut täte. Beim Tennis gibt es so ein paar Bewegungen, die nicht ideal wären.

BZ: Was machen Sie dann? Das deutsche WM-Quartier Campo Bahia liegt in einem 700-Einwohner-Dorf. Ein schickes Stadthotel böte da sicher mehr Abwechslung.
Neuer: Wir haben unsere Ruhe und sind relativ abgeschottet. Die Wege sind kurz, das Essen ist ausgezeichnet. Wenn man nach einem Spiel ins Campo Bahia zurück kommt, fühlt man sich sofort wohl.
"Wir sind nicht nur im Eiswasserbecken oder im Swimmingpool, sondern natürlich auch im Meer."

BZ: Abgeschottet klingt fürchterlich. Waren Sie wenigstens schon mal im Meer?
Neuer: Ja, ich war drin. Wir sind nicht nur im Eiswasserbecken oder im Swimmingpool, sondern natürlich auch im Meer.

BZ: Oho. Und deutsches Fernsehen haben Sie im Campo auch.
Neuer (lacht): Abends gibt es hier aber nicht die interessantesten Sendungen. Da ist es in Deutschland ja Nacht. Manchmal kommen solche Kultur- oder Landschaftsbilder. Die kann man dann geistig mitnehmen, wenn man mal Yoga machen möchte. Insgesamt haben wir aber viele Möglichkeiten. Man kann zusammen sein – oder sich zurückziehen.

BZ: Sind Sie mehr fürs Zusammensein oder fürs Zurückziehen?
Neuer: Sowohl als auch. Ich finde es manchmal schon gut, für mich zu sein.

BZ: Und wie sieht der Kontakt mit den einheimischen Moskitos aus?
Neuer: Die Moskitonetze funktionieren. Und dann gibt es ja noch dieses Anti-Brumm-Spray.

BZ: Anti-Brumm?
Neuer: Offenbar ein sehr aggressives Mittel. Das wirkt.

BZ: Ruhe, Zurückziehen, Anti-Brumm-Spray. Klingt nicht gerade nach Abenteuer. Wird wenigstens wieder Tischtennis gespielt?
Neuer: Ja, auch.

BZ: Sie sollen auch darin ganz gut sein.
Neuer: Na ja, der Beste bei uns ist Teamarzt Tim Meyer. Wir haben die Platten draußen. Da ist es sehr windig. Deswegen geht es etwas unkontrolliert zu.

BZ: Das kann man vom Spiel der deutschen Mannschaft nicht mehr behaupten. Taktisch wird inzwischen sehr großer Wert auf die Defensive gelegt. Wie kam dieser Prozess zustande?
Neuer: Aus meiner Sicht kann man Turniere nur über eine stabile und gute Defensivarbeit gewinnen. Das Viertelfinale gegen Frankreich hat gezeigt, dass wir uns in dieser Hinsicht gesteigert haben. Wenn wir das beibehalten, haben wir große Chancen, ins Finale zu kommen.

BZ: Das schöne Spiel ist aber etwas abhanden gekommen.
Neuer: Wir haben gegen Frankreich nicht unattraktiv gespielt. Die Gegner haben großen Respekt vor uns. Das muss man berücksichtigen. Bei der WM 2010 wurden wir unterschätzt. Damals waren wir relativ jung, eine neue Mannschaft. Jetzt können wir nicht mehr so frech spielen, weil uns die anderen zu gut kennen. Da muss man umplanen, vielleicht etwas sachlicher und unattraktiver spielen, um zum Erfolg zu kommen.
"Jetzt können wir nicht mehr so frech spielen, weil uns die anderen zu gut kennen."

BZ:
War der Sieg gegen Frankreich eine Art Durchbruch?
Neuer: Das kann man schon sagen. Die Leistung war mit die beste, die wir bei diesem Turnier gezeigt haben. Da fühlt man sich gleich besser, gerade vor einem Spiel wie dem Halbfinale gegen Brasilien.

BZ: Wer ist der Favorit in diesem Duell?
Neuer: Es kommt auf die Tagesform an. Ich finde, dass wir uns gesteigert haben und uns jetzt in einen kleinen Lauf spielen können. Es herrscht eine positive Stimmung bei uns. Aber die herrscht bei den anderen auch. Brasilien spielt zu Hause, die Atmosphäre wird riesig sein.

BZ: Brasilien muss ohne seinen Star Neymar antreten. Wie bewerten Sie das Foul an ihm? Unglücklich? Hinterlistig?
Neuer: Es war ein Einsteigen von hinten. Ich dachte anfangs nicht, dass es so schlimme Folgen haben wird. Für uns ist es schade, dass Neymar nicht spielen kann. Wir wollen immer gegen die beste Mannschaft des Gegners spielen.

BZ: Ist Brasilien ohne Neymar vielleicht sogar gefährlicher, weil weniger berechenbar?
Neuer: Sowohl als auch. Die anderen Brasilianer sind individuell ebenfalls stark. Sie können alles am Ball. Neymar war zweifellos der Kopf der Mannschaft, er ist während des Turniers aufgeblüht. Vielleicht verteilt sich das nun aber auf den Rest der Mannschaft. Das kann einen Ruck geben. Sie will auch für ihn spielen und gewinnen. Bei Brasilien ist jetzt wieder das Team der Star. Genau wie es bei Frankreich ohne Franck Ribéry der Fall war. Und wie es bei uns immer der Fall ist.

Jeder ordnet sich dem Ziel unter, weil jeder weiß, dass er auch persönlich vom Erfolg profitiert.

BZ: Ist Teamgeist der Schlüssel zum Erfolg?
Neuer: Sicherlich. Ich glaube, dass wir seit 2010 auf jeden Fall Fortschritte gemacht haben. Wenn man sieht, wie die Jungs auf der Bank jetzt an der Außenlinie mitfiebern. Ich kann das aus meiner Position als Torwart ganz gut beurteilen. Keiner ist irgendwie beleidigt, wenn er mal nicht spielt. Jeder ordnet sich dem Ziel unter, weil jeder weiß, dass er auch persönlich vom Erfolg profitiert.

BZ: Nach der Algerien-Partie galten Sie als der Held des Spiels. Haben Sie den Hype, der in der Heimat um Ihre Person herrschte, mitbekommen?
Neuer: Ein bisschen schon. Freunde und Bekannte haben mir Sachen rübergeschickt, die ich hier sonst nicht mitbekommen hätte. Ich recherchiere nicht so viel wie Thomas Müller im Internet. Der will immer auf dem neuesten Informationsstand sein, damit er überall mitreden kann.

BZ: Ein großes Thema ist die untypisch robuste Spielweise der Brasilianer. Ein guter Schiedsrichter könnte helfen. Aber wie kann man den Attacken spielerisch entkommen?
Neuer (lacht): Alle Spieler tragen Schienbeinschoner.

BZ: Das beruhigt natürlich ungemein.
Neuer: Spaß beiseite: Damit können wir umgehen. Wir hatten in diesem Turnier schon einige Fouls gegen uns und sind immer wieder aufgestanden. Wir können schon was aushalten. Wir sind ja selbst eine Mannschaft, die mit einer gesunden Härte agieren kann, die aber nie wirklich unfair spielt.

BZ: Apropos unfair: Im Viertelfinale gegen Costa Rica wandte der eingewechselte niederländische Torhüter fiese Psychotricks an. Wie fanden Sie das?
Neuer: Alle Menschen sind verschieden. Es liegt bei einem selbst, wie man bei einem Elfmeterschießen reagieren möchte. Eigentlich ist ein Schiedsrichter dazu da, solche Dinge zu regeln.

BZ: Wäre es vorstellbar, dass bei Deutschland der Torwart vor dem Elfmeterschießen ausgewechselt wird?
Neuer: Ich glaube nicht, dass das der Fall sein wird. Man muss davon ausgehen, dass bei uns das Wechselkontingent in 120 Minuten ausgeschöpft wird, da wir einen sehr intelligenten Trainer haben.

BZ: Bereiten Sie sich speziell auf ein mögliches Elfmeterschießen vor?
Neuer: Ich bereite mich auf jeden Gegner und besonders auf dessen Standardsituationen vor. Auch auf die Elfmeter. Das wird diesmal wieder der Fall sein.

BZ: Vertrauen Sie auf die Statistiken und Videos? Oder auf Ihre Intuition?
Neuer: Am Ende muss man die Entscheidung von innen heraus treffen. Da kann man nicht nach dem Papier gehen. Wenn Torwarttrainer Andreas Köpke mir vorher sagt, dass ein bestimmter Schütze sieben Mal nach rechts geschossen hat, und ich springe trotzdem nach links, dann ist das meine Entscheidung. Die kann mir niemand abnehmen.

BZ: Sie sagen, Ex-Nationaltorhüter Oliver Kahn sei zumindest in Sachen Motivation ihr Vorbild. Könnte es sein, dass Sie während eines Spiels auch mal einen Mitspieler würgen, damit mehr Leistung aus ihm herauskommt?
Neuer: Eher nicht. Ich denke aber, dass man auch mir anmerkt, ob ich zufrieden bin oder nicht. Ich bin ein erfolgshungriger Spieler. Wenn ich keinen Erfolg habe, bin ich unzufrieden.

BZ: Wie äußert sich das?
Neuer: Das merkt man dann schon.

BZ: Wie?
Neuer: Bei Interviews zum Beispiel.

BZ: Gut, dass Sie gerade zufrieden sind.
Neuer: Nach dem 4:0-Auftaktsieg gegen Portugal war ich zum Beispiel nicht zufrieden.

BZ: Viele andere waren aber zufrieden.
Neuer: Als Portugal noch zu elft war, haben wir keine gute Leistung gezeigt. Alles lief doch irgendwie für uns. Man darf nicht vergessen, dass wir einen Elfmeter bekommen haben, der Gegner einen Platzverweis. Das alles habe ich so auch angesprochen.

BZ: Man hatte den Eindruck, dass viele Mannschaften im Turnierverlauf müde wurden. Die deutsche Elf wirkt dagegen zum Ende hin immer stärker. Das war gegen Frankreich auffällig.
Neuer (lacht): Wir hatten ja eine gute 120-Minuten-Trainingseinheit gegen Algerien. Da haben wir uns gut vorbereitet auf das Spiel gegen die Franzosen.

BZ: Eher unfreiwillig.
Neuer: Im Ernst: Wenn man bedenkt, dass wir gegen Algerien in die Verlängerung mussten und Frankreich so gesehen ausgeruhter war, hätten wir platt sein müssen. Man merkt, dass unser Team fit ist. Das ist erstaunlich. Keine Ahnung, das wievielte Spiel in Folge ich gerade gemacht habe. Ich bin Torwart. Aber die Belastung für die Feldspieler ist enorm.

BZ: Die deutsche Mannschaft ist siebeneinhalb Kilometer mehr gelaufen als die Franzosen.
Neuer: Man versucht immer, so viele Meter wie möglich zu machen für die Mannschaft. Jeder bei uns gibt sein letztes Hemd.

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Ressort: Fußball-WM

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