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Anschlag in St. Peterburg

Bombe steckte in der Aktentasche

Stefan Scholl
  • Di, 04. April 2017
    Ausland

     

Zehn Tote bei Explosion in Sankt Petersburg / Experten vermuten einen Terroranschlag und sehen Handschrift radikaler Islamisten.

Die Folgen der Detonation sind deutlic...tort in der Metro von St. Petersburg.   | Foto: AFP
Die Folgen der Detonation sind deutlich zu sehen: Der Tatort in der Metro von St. Petersburg. Foto: AFP
Es war gegen 14.45 Uhr Ortszeit, also 13.45 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit in der nördlichen russischen Metropole St. Petersburg. In einer U-Bahn, die zwischen den beiden Metrostationen "Senaja Ploschtschad" (Heuplatz) und "Technologitscheski Institut" verkehrt, explodiert ein Sprengsatz. Das meldet die Nachrichtenagentur Ria Nowosti. Laut dem Nationalen Antiterroristischen Komitee sollen dabei mindestens zehn Menschen ums Leben gekommen und 50 verletzt worden sein.

Die Informationslage ist lange Zeit verworren, die Behörden machten zum Teil sich widersprechende Angaben. Vorübergehend ist von zwei Sprengsätzen die Rede, die in den beiden genannten Stationen gezündet worden seien. Dann wird ein weiterer Sprengsatz in der U-Bahn-Station "Ploschtschad Wosstanija" (Platz des Aufstandes) entdeckt, der wichtigsten Metrostation der Stadt. Der Sprengsatz wird von Spezialisten des Inlandsgeheimdienstes entschärft. Die Petersburger Metro wird vorsorglich komplett geschlossen.

Am Abend kommt dann die Bestätigung, dass die Bombe in der Tat in dem fahrenden Zug explodiert sei. Nach ersten Erkenntnissen war aber kein Selbstmordattentäter unterwegs. Videokameras hätten eine Person erfasst, die die Bombe in dem Wagen ablegte, meldete die Nachrichtenagentur Interfax. Der Sprengsatz sei mit Metallteilen versehen gewesen, um die tödliche Wirkung zu verstärken. Die Behörden gingen am Abend definitiv von einem Terroranschlag aus.

Ein Einwohner aus Petersburg erzählte der Wirtschaftsagentur RBK von einem Kollegen, der zu den Passagieren des Unglückszuges gehörte und ihm folgende SMS geschickt habe: "Zwischen den Stationen gab es eine Explosion, ein Bursche hatte eine Aktentasche stehen lassen, die Tür geöffnet und in den nächsten Waggon gewechselt. Nur in den nächsten Waggon."

Das deckt sich mit Erkenntnissen der Ermittler. Sie hoben vor allem den Fahrer des Metrozuges hervor. "Der Maschinist traf die absolut richtige Entscheidung, nicht anzuhalten, sondern bis zur nächsten Station zu fahren, damit den Opfern unverzüglich geholfen werden konnte", sagte die Sprecherin des staatlichen Ermittlungskomitees, Swetlana Petrenko. So seien vermutlich Menschenleben gerettet worden.

Angesichts der zahlreichen Überwachungskameras auf den U-Bahnsteigen sowie in den Waggons haben die Fahnder die Hoffnung, dass der Ausführende anhand von Videoaufzeichnungen identifiziert werden könne. Medien veröffentlichten am Abend Fotos von zwei Verdächtigen.

Der russische Präsident Wladimir Putin, der sich am Montag in seiner Heimatstadt Sankt Petersburg aufhielt, wo er sich mit dem weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko traf, erklärte: "Die Sicherheitsorgane und Geheimdienste tun alles, um die Gründe des Geschehenen zu klären." Anfangs sprach Putin davon, für die Explosion könne es auch technische oder kriminelle Gründe geben.

Dagegen erklärte Franz Klinzewitsch, stellvertretender Vorsitzender des Verteidigungs- und Sicherheitsausschusses im russischen Föderationsrat, es habe sich ohne Zweifel um einen Terroranschlag gehandelt. "Wir haben immer gesagt, die Terroristen betrachteten Russland als ihren Feind Nummer eins", zitiert ihn Ria Nowosti. Es werde die "allerhärteste Antwort" auf das Verbrechen geben.  "Bisher sind die Ermittlungen erst in den Anfängen, deshalb kann man über die Täter nur Vermutungen anstellen", sagte der Moskauer Politologe Aschdar Kurtow der Badischen Zeitung. "Die Handschrift, ein Bombenanschlag in der U-Bahn, spricht für radikale Islamisten, aber es ist sehr schwer zu sagen, zu welcher Gruppe sie gehören." Es sei nicht auszuschließen, dass es sich bei den Tätern um nordkaukasischen Anhänger des terroristischen Islamischen Staates (IS) handele, möglicherweise um aus Syrien zurückgekehrte IS-Kämpfer.

Erst Mitte März hatten Unbekannte einen Posten der tschetschenischen Nationalgarde angegriffen, dabei kamen nach offiziellen Angaben sechs Nationalgardisten und sechs Angreifer ums Leben. Danach bekannte sich der IS zu dem Überfall. 

Der Anschlag ereignete sich in einer Stadt, die in der Vergangenheit als sicher galt. "In den vergangenen 20 Jahren gab es kein Attentat. Der Terror war also bisher für uns und auch meine Kommilitonen weit weg", sagt die 21-jährige Austauschstudentin Pia Schupp aus Bad Waldsee am Telefon. "Auch die Anschläge in Moskau liegen lange zurück. Deshalb haben wir nicht damit gerechnet." Man spüre eine Anspannung, "Angst habe ich aber keine".

Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach in einem Telegramm von einem "barbarischer Akt, den ich aufs Schärfste verurteile". Ihre Gedanken seien "bei den Familien der Todesopfer und bei den Verletzten, denen ich rasche Genesung wünsche". Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erklärte, er verfolge die Nachrichten "mit Entsetzen und Trauer".

Ressort: Ausland

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