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Konzeptalbum

Beyoncés "Lemonade": Die amerikanische Erbsünde

Carolin Buchheim
  • Do, 28. April 2016, 00:00 Uhr
    Rock & Pop

     

Das Private ist politisch: Die Sängerin Beyoncé Knowles Carter hat mit dem Konzeptalbum und Film "Lemonade" ein hoch persönliches Werk mit feministischer Strahlkraft geschaffen.

Beyoncé Knowles Carter bei einem Aufritt in New Orleans 2013  | Foto: dpa
Beyoncé Knowles Carter bei einem Aufritt in New Orleans 2013 Foto: dpa
In Zeiten von Netflix und Filesharing sind Fernsehmomente mit Massenwirkung rar geworden. Beyoncé Knowles Carter hat vergangenen Sonntag einen solchen erschaffen: Ihr sechstes Album "Lemonade" präsentierte der 34-jährige Superstar mit einem 56 Minuten dauernden Film, der zur besten Sendezeit direkt vor der Premiere der sechsten Staffel der Hit-Serie "Game of Thrones" auf dem US-Bezahlsender HBO gezeigt wurde.

Wenn das Leben dir Zitronen gibt – mach’ Limonade draus. Die Zitronen, aus denen Beyoncé das Konzeptalbum und den dazugehörenden Film gepresst hat, waren sich Exegetinnen auf Twitter in Echtzeitanalyse schnell einig, sind die Affären ihres Ehemanns Jay-Z. Mit dem Rapper ist sie seit 2002 zusammen. Gerüchte über die Instabilität der Beziehung der Megastars gibt es fast genau so lange.

"Ist es schlimmer eifersüchtig zu wirken – oder verrückt?"
"Ich kann Deine Lüge schmecken, sie ist in Deinem Atem", von Beyoncé auf einer Bühne kniend gesungen, ist der Anfang einer Anklage, die die Sängerin über die ersten fünf Songs des Albums ausbreitet. Sie listet alle peinlichen Banalitäten aus, die fremdgehende Menschen tun – heimliche Anrufe, halbherzige Ausreden – und beklagt das Dilemma wohl aller Betrogenen: "Ist es schlimmer eifersüchtig zu wirken – oder verrückt?" Verwundert fragt sie: "Wie ist es nur dazu gekommen, dass ich Deine Anruferliste durchgehe?" Virtuos überschreitet sie dabei musikalische Genregrenzen. Begleitet von Jack White, James Blake und Kendrick Lamar singt sie zu dudeligen Sixties-Sounds, Country, explosiven Breakbeats und Hard-Rock-Riffs; es ist eine ur-amerikanische Vielfalt, keine Wahllosigkeit.

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Der arglose Musikfan mag den "Lemonade"-Film, an dem ein Dutzend Regisseure und Filmkünstler gearbeitet haben, beim ersten Ansehen für ein lang geratenes Musikvideo mit teurer Ausstattung und coolen Special-Effects über die Eheprobleme prominenter Leute halten. Tatsächlich aber ist "Lemonade" der Film einer schwarzen Frau mit schwarzen Frauen und für schwarze Frauen, voller #blackgirlmagic.

In den Szenen zu "Hold Up" etwa schreitet und tänzelt Beyoncé in einer gelben Flatterrobe von Roberto Cavalli eine Straße entlang, ihre Verzweiflung mit einem Grinsen kaschierend, während sie mit einem Baseballschläger Autoscheiben und Hydranten zertrümmert. Eine verletzte, Rache suchende moderne Frau, ja, aber mit wehendem Haar und gelben Kleid auch das Abbild der Göttin Oshun, die sowohl in Afrika als auch in Südamerika verehrt wird. Oshun ist zuständig für die Liebe und das Süßwasser; einer Legende nach machte sie die Frauen unfruchtbar, um die Männer zu erpressen – weil die Männer die Frauen von der Macht fernhalten wollten.

Mit ihrer privaten Offenbarung positioniert sich Beyoncé klar als politische Künstlerin

"Das Private ist politisch" war schon die Losung der zweiten Welle des Feminismus. Beyoncé collagiert ihre höchstpersönlichen Songs mit den schonungslosen Gedichten der britischen Poetin Warsan Shire und Familienvideos aus dem Hause Knowles Carter, Szenen afroamerikanischen Alltagslebens mit Malcolm X: "Die am meisten vernachlässigte Frau in Amerika ist die schwarze Frau."

Im Zentrum von "Lemonade" steht so schließlich nicht der Betrug dieses einen Mannes an dieser einen Frau, sondern der Betrug des Mannes an der schwarzen Frau an sich – eine Erbsünde. Familie, so legt Beyoncé klar, ist der Ort, an dem Geschlechterrollen und Beziehungsstrukturen gelernt werden.

In schwarzen Familien geschieht das unter dem unentrinnbaren Druck einer rassistischen Gesellschaft; Leidtragende sind die Frauen, die Verletzungen immer wieder die selben. "Am I talking about your husband or your father?" fragt Beyoncé die Zuschauerin in der Mitte des Albumfilms.

"Freedom" – nichts Geringeres als die Befreiung des schwarzen Körper aus dieser Gesellschaft fordert Beyoncé und reiht sich so in die #Blacklivesmatter-Bewegung ein. Die Mütter von Trayvon Martin, Michael Brown und Eric Garner, die von Polizisten ermordet wurden, präsentieren Fotos ihrer Söhne. Stolz und selbstverständlich zeigt sich die Sängerin mit einer Schar prominenter afroamerikanischer Kollaborateurinnen mit Afros und Flechtfrisuren, trägt Gesichtsbemalung und ein Antebellum-Kleid aus afrikanischen Ankara-Stoff und läuft unverwundbar durch Flammen und Fluten.

Tennisstar Serena Williams, über deren "unweiblichen" Körper sich die Sportmoderatoren auch nach 36 Grand-Slam-Titeln noch lustig machen, räkelt sich aufreizend im knappen Body zu Füßen von Beyoncés Thron und schüttelt die muskulösen Beinen, die sie zur Nummer Eins der Tennisweltrangliste machten.

Zumindest die Beziehung ist am Ende gerettet

Der erste Schritt der Befreiung gelingt Beyoncé schließlich in Film und Album: Sie verzeiht, die Ehe ist gerettet. "Mein Folterer wurde mein Heiler", stellt sie fest. "Also werden wir genesen."

Beyoncés Lemonade" ist nicht nur musikalisch und visuell sondern auch medial und wirtschaftlich perfekt durchinszeniert. Ausschließlich über den Streaming-Dienst "Tidal", an dem untere anderem auch Jay-Z beteiligt ist, war das Album zunächst zu erhalten – Beyoncés Limonade gab’s also erst nur am Limonadenstand ihres Ehemanns.
Das Album

Beyoncé: Lemonade (Sony) via Tidalund iTunes, CD ab 6. Mai

Website: Beyoncé

Ressort: Rock & Pop

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Do, 28. April 2016: PDF-Version herunterladen

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