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Getötete Studentin

1400 Gäste bei Tugces Beisetzung

Bernhard Honnigfort
  • Do, 04. Dezember 2014
    Panorama

     

Am Mittwoch ist die erschlagene Studentin Tugce in Hessen beerdigt worden / 1400 Gäste kamen zu Trauerfeier und Beisetzung.

Tugces Sarg auf dem Weg zum Grab &#821...t Volker Bouffier (rechts) ist dabei.   | Foto: dpa
Tugces Sarg auf dem Weg zum Grab – auch Ministerpräsident Volker Bouffier (rechts) ist dabei. Foto: dpa

WÄCHTERSBACH. Bewegender Abschied von Tugce Albayrak: Die nach einem Prügelangriff gestorbene Studentin ist in ihrem Heimatort in Hessen zu Grabe getragen worden. Zuvor beteten Hunderte Menschen vor der Moschee im nahen Wächtersbach für die Tote.

Es gibt Tage, die muss man aushalten, überstehen, hinter sich bringen. Mehr nicht. "Ich hoffe, alles geschieht ordentlich und würdevoll", sagt Hakan Akbulut. Er ist der Vorsitzende des Türkisch-Islamischen Kulturvereins in Wächtersbach, und er kommt gerade aus der Moschee der Kleinstadt. Der Platz hinter dem Haus füllt sich langsam mit Menschen.

Vor ihm und seinem Verein liegt ein großer und gleichzeitig trauriger Tag: Gleich beginnt die Trauerfeier für Tugce, die vor einem Offenbacher Schnellrestaurant von einem 18-jährigen Hitzkopf erschlagen wurde. Weil sie einen Streit schlichten wollte und Mut gezeigt hat.

Der Ort der Gedenkfeier für die junge Frau ist so trist und traurig und kalt und windig wie der Platz, an dem sie Mitte November ins Koma geprügelt wurde. Ein Parkplatz, graues und rosa Pflaster, zwischen Moschee, Dänischem Bettenlager, einem Baumarkt und einer Bahntrasse. An der Rückseite des Bettenlagers ist ein Marmortisch aufgestellt, daneben flattern eine deutsche und eine türkische Flagge. In der Moschee spricht ein Imam das Mittagsgebet, ein silbergrauer Leichenwagen fährt vor, ein reich verzierter Sarg wird auf dem Tisch abgestellt.

Die Totenfeier für die junge Frau ist ein mediales Weltereignis geworden. Sie ist eine Heldin, ein Engel, ihr Schicksal rührt Millionen. Fernsehteams aus Großbritannien, der Türkei, den USA beobachten die Feier vom erhöht liegenden Straßendamm aus. Die Stadt Wächtersbach hatte mit 3000 Trauergästen gerechnet, aber die sind es dann doch nicht geworden, etwa 900 sind gekommen, um Abschied zu nehmen, Familienangehörige, der türkische Botschafter, der Konsul, Freunde und die türkische Gemeinde.

Man hatte mir viel mehr gerechnet, auch weil in Offenbach vor der Klinik so viele Leute gestanden hatten am vergangenen Freitag mit Blumen und Kerzen, als Tugces Hirntod festgestellt wurde und man die lebenserhaltenden Apparate abschaltete. An dem Tag, an dem sie 23 wurde. Der Imam spricht das Totengebet auf Türkisch, zwei mächtige Lautsprecher verbreiten Gesang und Worte über den Platz, ein junger Mann steht neben ihm und übersetzt auf Deutsch: "Wir beten für unsere Freundin Tugce", beginnt er. Und irgendwann heißt es, ihr Tod solle eine Lektion für alle Lebenden sein. "Bezeugt ihr ein gutes Leben unserer Schwester?", fragt er. "Ja, wir bezeugen", antworten die Anwesenden.

Zwei Rentner ziehen über den Straßendamm und blicken kurz hinunter auf den Platz der Totenfeier. Sie bleiben nicht stehen, haben den Satz mit der Lektion allerdings mitbekommen. "Ei, welche Lektion denn?", fragt der eine. "Sinnlos war ihr Tod, vollkommen sinnlos", antwortet ihm der andere. Sie ziehen weiter.

Der Fall ist geklärt und auch nicht. Es gibt nichts Neues. Senal M., ein 18-jähriger Mann, polizeibekannt, weil er schon einmal gewalttätig geworden ist, schweigt. Kurz nach seiner Festnahme soll er gesagt haben, er habe der Frau doch nur eine Ohrfeige gegeben. Danach riet ihm sein Anwalt, den Mund zu halten.

Er war, so schilderte es die Polizei kurz nach dem Vorfall, auf die junge Frau losgegangen, nachdem sie in jener verhängnisvollen Nacht zwei jungen Mädchen auf der Toilette des Restaurants zu Hilfe geeilt war, die von dem jungen Schläger bedrängt worden waren. Er passte sie draußen ab und schlug blitzartig zu. In einigen Wochen soll es ein abschließendes Obduktionsergebnis geben. Es soll klären, ob die Lehramtsstudentin an den Folgen des Schlages starb oder an den Folgen des anschließenden Sturzes auf den Boden.

Nach der Totenfeier in Wächtersbach wird Tugce in Bad Soden-Salmünster beerdigt. Dort ist sie geboren, dort wohnen ihre Eltern und Geschwister, sie lebte im benachbarten Gelnhausen. Der Buskonvoi hat den Friedhof mit der kleinen und modernen Kapelle erreicht. Die Straße dorthin wurde von der Polizei abgesperrt. Angehörige tragen den Sarg langsam zum Grab, dann wird die in ein Tuch gehüllte Tote nach islamischem Ritus beerdigt. Familie und Freunde stehen am Grab, Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier ist gekommen, die Trauergemeinde – es sind etwa 1400 Menschen – hält wunschgemäß deutlich Abstand. Ein 26-Jähriger ist mit zwei Freunden extra aus Frankfurt hergefahren, um Abschied von der jungen Frau zu nehmen. "So viele tun nichts", sagt der Mann. "Tugce hatte so viel Mut. Sie hat Respekt verdient."

Ressort: Panorama

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Do, 04. Dezember 2014: PDF-Version herunterladen

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