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Temperaturmethode

Wie sicher ist die TÜV-geprüfte Verhütungs-App?

  • Do, 16. Februar 2017, 09:31 Uhr
    Gesundheit & Ernährung

Verhütung per Körpertemperatur – das ist nicht neu. Verhütungs-Apps auch nicht. Der TÜV Süd hat nun aber erstmals eine solche zertifiziert. Frauenärzte sehen das Angebot kritisch.

So stellt die App nicht fruchtbare Tage dar.  | Foto: Natural Cycles
So stellt die App nicht fruchtbare Tage dar. Foto: Natural Cycles
Die App basiert auf täglichen Temperaturmessungen der Frau und soll genauso sicher sein wie die Pille. Ob sie wirklich zuverlässig ist, steht auf einem anderen Blatt. Der Berufsverband der Frauenärzte äußert sich sekptisch.

Verhütungs-Apps wollen eine echte Alternative sein zu Verhütungsmethoden wie der Pille oder der Spirale. Die App "Natural Cycles" ist nun als erste Verhütungs-App vom TÜV Süd zertifiziert worden. Sie verspricht die gleiche Effektivitätsrate wie die Pille, allerdings ohne deren Nebenwirkungen. 5,40 Euro kostet die App pro Monat, ist damit im Vergleich zu anderen Verhütungsmitteln noch günstig.

Körpertemperatur steigt an

Die App funktioniert nach einem Algorithmus, der die sechs fruchtbaren Tage innerhalb des weiblichen Monatszyklus’ mit Hilfe der Körpertemperatur ermittelt. Denn beim Eisprung steigt die Körpertemperatur leicht an. Da Spermien im Körper zwei bis fünf Tage überleben können, zählen die vier Tage vor dem Eisprung zu den fruchtbaren Tagen, sowie der Tag des Eisprungs und der Tag danach.

Während dieser Zeit ist die Frau fruchtbar. Mithilfe eines Thermometers überprüft die Frau, ob sie sich in diesem Zeitraum befindet. Bei grüner Anzeige ist keine Verhütung erforderlich. Ist sie rot, muss auf alternative Verhütungsmittel ausgewichen werden.

Algorithmus entwickelt

Das Unternehmen hinter der App wurde in der Schweiz gegründet. Mittlerweile hat es seinen Hauptsitz in Stockholm und gehört nach eigenen Angaben zu den gefragtesten Start-Ups Schwedens. Die Physikerin Elina Berglund hat den Algorithmus für die App aufgrund einer komplexen statistischen Methode mitentwickelt. Die 32-jährige gehörte zum Team, das an der Entdeckung des Higgs-Bosons gearbeitet hat.

Der TÜV Süd hat die App nun als Medizinprodukt zertifiziert und somit als offizielle Verhütungsmethode anerkannt. Thomas Obrecht vom TÜV Süd ist überrascht von der Aufmerksamkeit, die Natural Cycles auf sich zieht. Denn die natürliche Verhütung anhand von Temperaturtabellen sei nicht neu. "Es gibt seit den 80er Jahren Zyklusrechner. Das sind Geräte, in die die gemessenen Werte eingegeben werden und die die Rechenaufgabe übernehmen", erklärt Obrecht. Werden die Anweisungen sorgfältig beachtet, dann funktioniere eine natürliche Verhütungsmethode auch, schätzt er.

Zwei Studien verfasst

Jedoch: Der TÜV überprüft nur, ob die eingegebenen Werte – in diesem Fall die Temperaturmessung – angemessen verarbeitet werden und dass die Berechnungsmethode funktioniert. "Über die Qualität der Empfängnisverhütung der App trifft der TÜV keine Aussagen." Zur Überprüfung reichte das App-Unternehmen zwei 2016 verfasste Studien ein. Die erste Studie beschäftigt sich mit der Bestimmung und Vorhersage des fruchtbaren Zeitfensters. Eine zweite Studie mit der mobilen Anwendung der App.

Prompt gibt es Gegenstimmen. Christian Albring, Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte, schätzt Natural Cycles kritisch ein. "Die App verspricht in ihren Werbeaussagen eine Zuverlässigkeit, die sie nicht hat." Aus den zwei Studien seien nämlich bereits nach fünf Monaten 34 Prozent der Frauen ausgestiegen. Vermutlich war die App ihnen zu umständlich gewesen, vermutet Albring. Von den restlichen waren in kurzer Zeit 3,5 Prozent ungewollt schwanger. "Darunter waren vor allem Paare, die viel Sex miteinander hatten und die an den potentiell fruchtbaren Tagen nicht immer zuverlässig verhüteten."

"Als Ersatz für hormonelle Methoden taugen sie alle nicht" Christian Albring
Generell seien natürliche Verhütungsmethoden nur für Paare geeignet, die keine absolut sichere Verhütung bräuchten und mit einer Schwangerschaft insgesamt einverstanden seien, so Albring. "Als Ersatz für hormonelle Methoden taugen sie alle nicht." Er führt an, dass die Körpertemperatur nicht nur durch den Eisprung, sondern auch durch Faktoren wie Alkohol, Entzündungen, Sport, Ausschlafen, Stress und Reisen ansteige. "Das alles macht es schwierig, den Temperaturanstieg zu interpretieren."

Kommen diese Abweichungen öfter vor, müsse die App die gesamte Zeit als rot, also potentiell fruchtbar, angeben. Die hohe Anzahl dieser scheinbar fruchtbaren Tagen könne ein weiterer Grund für das Abspringen der Frauen aus der Studie sein. Auch für Mädchen im Teenager-Alter sei die App nicht geeignet. "Die Verhütungs-App setzt einen regelmäßigen Zyklus voraus. Das ist bei Teenagern oft noch nicht der Fall", fügt Albring hinzu.

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Ressort: Gesundheit & Ernährung

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