Life-Tracking: Datensammeln im eigenen Leben

Mi, 27. Mai 2009 um 07:41 Uhr

Für Nicholas Feltron ist das Datensammeln im eigenen Leben Kunstprojekt und handwerkliche Fingerübung zugleich, sein allerliebstes Hobby. „Ich begann, meine Aktivitäten zu dokumentieren, als ich mich selbstständig gemacht habe und meine Arbeitsstunden für meine Kunden aufschreiben musste, um sie abzurechnen“, sagt er.
Irgendwann hielt er viel mehr als nur seine Arbeitszeiten fest: Reisen, Konzert- und Museumsbesuche, Begegnungen mit anderen Menschen, Mahlzeiten und die Anzahl der getrunkenen Tassen Kaffee. Banalitäten die – zusammengenommen – ein Leben ergeben.
Was Nicholas Feltron seit vier Jahren mit wachsendem Erfolg im Netz dokumentiert, ist mittlerweile ein Netztrend geworden: Life-Tracking nennt man das Nachverfolgen von banal anmutenden Lebensdetails.
Während bei Angeboten wie dem Microblogging-Dienst Twitterund dem Musik-Portallast.fm die Masse der gesammelten Datenhäppchen noch ein angenehmer Nebeneffekt ist, gibt es inzwischen eine Vielzahl neuer Websites, bei denen es ausschließlich darum geht, die Splitter des Lebens zu sammeln und sie in verschiedenartigen Diagrammen visuell ansprechend darzustellen.
Die Datensammelei kennt keine Grenzen. Seine Mahlzeiten kann man auf Fitday eintragen, ihren Nährwert bestimmen und nebenbei vielleicht auch noch abnehmen. Traineo will beim Erreichen von Fitnesszielen helfen, während man auf Yawnlog den eigenen Schlaf dokumentieren und – es sind ja hektische Zeiten – sein Schlafdefizit berechnen kann.

Memiary (Bild oben) bietet als Tagebuch im Kleinformat für jeden Tag fünf Zeilen für Einträge. Das Browser-PlugInMeeTimer verfolgt, auf welchen Websites man seine (Arbeits-)Zeit im Internet verschwendet. Auf Dopplrkann man alle Reisen planen, deren CO2-Last ausrechnen und bekommt am Ende des Jahres auch noch einen persönlichen Reisebericht im praktischen pdf-Format.
Natürlich kann auch die Häufigkeit, Dauer und Qualität sexueller Aktivitäten im Netz dokumentiert werden. Bedposted (Bild unten) hat dabei Platz für diverse Partner, während es auf Bofferygleich noch ein soziales Netzwerk dazugibt. War die sexuelle Aktivität erfolgreich, können Eltern die Grundfunktionen ihres neuen Babys – schlafen, essen, verdauen – mit dem TrixieTracker dokumentieren.

Neben diesen spezialisierten Angeboten gibt es auch Dienste, die es den Usern überlassen, welche Daten gesammelt und wie sie dargestellt werden, so wie Mycrocosmund das via Twitter bedienbare Plodt.
Die sowohl technisch als auch visuell beste Life-Tracking-Seite allerdings ist Daytum (Bild unten). Einer der Mitbegründer: Nicholas Feltron. „Die Leute, die meine Annual Reports lesen, interessieren sich sowohl für die Daten als auch für das Design“, sagt Feltron. „Ich glaube, dass sie ein ähnliches Dokument auch gerne für sich selbst hätten. Das Sammeln und die Darstellung der Daten ist aber kompliziert. Daytum macht die Sache leichter.“

Warum nutzen Menschen diese Dienste?
Zum einen ist es sicher die allgemein menschliche Lust am Sammeln. Und zum anderen natürlich – Memento mori – der Wunsch, dem Voranschreiten der Zeit Einhalt zu gebieten, der Gegenwart Ewigkeit zu verleihen.
Nicholas Feltron sieht noch einen weiteren Nutzen.„Diese Online-Tools ermöglichen Nutzern Selbstfindung, ohne mehr als ein paar Minuten Zeit am Tag in Anspruch zu nehmen.“ Er selbst sei zum Beispiel immer wieder schockiert, wenn er merkt, dass er in jedem Jahr weniger Konzerte besucht.
Für ihn mache jedoch vor allem die Gesamtheit der Daten den Reiz seines Projekts aus. „Es ist eine kunstvolle Darstellung von Banalitäten.“
- Web: Feltron.com
- fudder.de: Die Tagebuch-Fachfrau " Tagebücher können unglaublich unterschiedlich sein"