Die Bobbele Bolzer: Das Freiburger Tischfußball-Team aus der ersten Liga

Do, 21. März 2013 um 08:16 Uhr

Mathias Ellwanger beugt sich über den Kickertisch. Seine Hände stecken in weißen Handschuhen. Die Sehnen seines Unterarms treten hervor. Der Kickerball klemmt unter seinem Stürmer. Mit einer knappen Ausholbewegung versenkt er den Ball krachend im Tor. Er schaut kurz hoch und grinst seine Gegner an.
Ein Sonntagnachmittag in der Beat Bar Butzemann in Freiburg. Draußen geht gerade die Sonne unter. Vier Tischfußballspieler haben sich schon vor zwei Stunden von ihr verabschiedet. Sie hängen konzentriert über dem Kickertisch der verrauchten Kneipe. Zwei der Spieler, Oliver Litzba und Mathias Ellwanger, spielen seit diesem Jahr in der ersten Bundesliga des Deutschen Tischfußballbunds.
Ihre zehnköpfige Mannschaft – die Bobbele Bolzer – ist dieses Jahr aufgestiegen. Es ist die erste badische Mannschaft, die jemals in der Bundesliga spielte. Im Januar 2012 gründeten Litzba und Ellwanger den Verein. Sie meldeten sich zur Qualifikation für die zweite Bundesliga an und kamen prompt weiter. Da die Freiburger Szene überschaubar ist, wählten Litzba und Ellwanger Spieler aus, die sie kannten und schätzten. Bis jetzt geht der Plan auf. Dieses Jahr haben sie den Einzug in die Erste Bundesliga geschafft.
Kommendes Wochenende werden die Bobbele Bolzer in der Vorrunde der ersten Bundesliga gegen Topmannschaften wie Wiesbaden und Hannover antreten. Sie sind schon angefixt und trainieren mehrmals die Woche. Im Winter unter Heizungsstrahlern in Ellwangers Garage. Im Sommer in Kneipen. Und unabhängig davon jede Woche einmal im Fitnesscenter in Umkirch.
Heute geht es eher entspannt zu. Ein gemütliches Spiel gegen die Hausmannschaft der Beat Bar. Die Plattencover und Plakate an den Wänden schimmern in rötlichem Licht. Aus den Boxen tönt Johnny Cash. Über den Köpfen der Spieler baumelt eine an Metallketten aufgehängte Lampe. Typischer Kneipensport eben.
Oliver Litzba (Bild unten rechts) greift zu den Griffen der Tischfußballstange. Er hat sie mit Gaffa Tape überzogen und die Stangen vorsorglich mit Pronto-Möbelspray eingesprüht, damit sie besser laufen. Ellwangers Griffe sind mit Fingerlingen überzogen, die aussehen wie Kondome. Profitricks oder Profiticks – das weiß keiner so genau.
Einwurf. Der Ball rollt. Dann wird er abgestoppt, zugepasst, gequetscht und über Bande gespielt. Das hat nichts mit dem flipperkugelähnlichen Gebolze gemein, das Hobbyspieler nach drei Bier zelebrieren. Hier sind die Bewegungen wohlbemessen. Gleiches gilt für die Emotionen. Und statt Bier trinken sie Apfelsaftschorle.
Litzba verzieht keine Miene, als er den Ball versenkt. Er gibt dem Gegner einen neuen, schiebt den Torzähler um eins nach vorne und weiter geht’s. Die Stille wird nur ab und zu durch Rufe unterbrochen: „Was für ein Ei“ oder „Komm, ich kurbel den weg“.
Etwa 100 Spieler umfasst die Tischfußballszene in Freiburg und Umgebung. Die meisten kennen sich untereinander. Viele sind befreundet. Das Tischfußball verbindet. Oliver Litzbas Freundin hat ihre Zulassungsarbeit über das Phänomen des Tischfußballs geschrieben. Thomas Schwär, der ebenfalls bei den Bobbele Bolzern spielt, verkauft mit seiner Firma Kickertische.
Dass sich der Kneipenspaß in den vergangenen sechs Jahren zu einer anerkannten Sportart entwickelt hat, wird von der Szene begrüßt. Was jetzt noch fehlt, ist ein Leistungszentrum.
Dadurch, dass Tischfußball im Laufe der Jahre immer beliebter wurde, entstanden abseits der Bars Trainingszentren, in denen systematisch Taktik und Technik perfektioniert wurden. Bisher gibt es solche Leistungszentren in Leipzig, Osnabrück, Bochum, Oldenburg, Berlin und Hannover. Sie vereinfachen das Training. Denn nicht überall sind die Tische so gut, dass sie den Ansprüchen der Profis genügen. Litzba kennt zwar genug Bars, Kneipen und Gaststätten in der Umgebung, die gute Tische besitzen, doch sie sind verstreut.
In Freiburg treffen sich die Spieler gerne im Eimer, der Pizzeria Picasso, im Picc 106 oder im Crash. Litzba versteht jedoch, dass Eltern 14- oder 15-jähriger Jugendlicher nicht wollen, dass die Kinder ihre Freizeit in der Kneipe verbringen. Deswegen wünscht er sich in Freiburg ein Leistungszentrum. Auch um den Nachwuchs zu fördern, an dem es in Freiburg momentan mangelt.
Die Partie in der Beat Bar ist zu Ende. Matthias Ellwanger (Bild oben rechts) streift sich die Handschuhe ab und streicht sich mit der flachen Hand über die Brust. Die Hände schwitzen von so viel Tischfußball. Aber auch Muskeln. Litzba erzählt von Spielern, die regelmäßig unter Sehnenscheiden-Entzündung leiden.
Frank Brauns (Bild rechts), der sich den Bobbele Bolzern Anfang dieses Jahres angeschlossen hat, kennt das alles. Der dreifache Weltmeister, der schon mit den Klitschkos und Udo Lindenberg spielte, erreichte im Tischfußball alles, was es zu erreichen gibt. Er ist dreifacher Weltmeister, fünffacher deutscher Meister, mehrfacher Schweizer Meister und Nationalspieler. Doch mehr als das Einkommen eines Minijobbers kam für den hauptberuflichen Erzieher auch während seiner wilden Kickerzeiten nicht zusammen.
Mit 16 Jahren begann er zu spielen. Im Jack Daniels in Breisach. Gegen seinen Mentor Marc Dürr. Gegen Kneipenbesucher. Gegen jeden, der forderte. Tag und Nacht. Sechs Stunden, sieben Tage die Woche. Abends um Acht ging er in die Kneipe. Morgens um Eins verließ er sie. Und am Wochenende? Dasselbe in der „Extended Version“. Er übte den Pass von der 5er-Reihe auf die 3er-Reihe bis er ihn im Schlaf beherrschte. Er perfektionierte seine Ballkontrolle, passte den Ball zwischen Spielern derselben Reihe hin und her. Übte Antäuscher und Tricks.
„Meine Gedanken haben sich um nichts anderes gedreht. Es war wie eine Sucht“, sagt der 29-jährige Vater. Dann erfüllte sich für ihn ein Traum. Er schlug Frédéric Collignon, den Tischfußballgott. Danach kam der Tiefpunkt.
Nach jedem Spiel war er ausgelaugt und müde. Die Ergebnisse wurden immer schlechter. 2012 hörte er auf. Jetzt spielt er wieder – bei den Bobbele Bolzern. „Ich habe einfach gemerkt, dass ich momentan wieder Spaß dran habe. Das liegt auch an den Jungs “, sagt er. Er sei eigentlich ein ruhiger ausgeglichener Mensch, und genieße es daher, beim Tischfußball auch Angriffslust zeigen zu können.
Brauns ist zuversichtlich, dass sich die Mannschaft nicht mit dem Abstieg beschäftigen muss. Er kennt die deutsche und internationale Kickerszene gut und weiß, dass Freiburg von Anfang an zu den Kickerhochburgen zählte. Mit Thierry Müller, Björn Hoffmann und Frank Brauns hat Südbaden drei Topspieler am Start. Auch gibt es in Freiburg und Umgebung genug Kneipen in denen gute Tische stehen.
An einem Donnerstagabend im Sportcenter Impulsiv in Umkirch. Wöchentliches Training der Bobbele Bolzer. Nur noch zwei Wochen bis zur Bundesligavorrunde. Aus dem Fitnessstudio hört man das Klackern des Tischfußballs durch die Gänge hallen. Man muss einen langen Weg zurücklegen – vorbei an Indoor-Beachvolleyball-Feldern und Fußballplätzen, bevor man schließlich in einem zehn Grad kalten verspiegelten Kellerraum landet. Zwei Tischfußballtische stehen hier direkt hintereinander. Acht Jungs beugen sich darüber, schauen nicht einmal hoch, als zwei Kameramänner mit kompletter Ausrüstung den Raum betreten. Die meisten tragen T-Shirts, Cappies, Sneakers und Jeans.
Frank Brauns zeigt die effizientesten Schusstechniken und auch ein paar Trickshots. Angst, dass der mehrfache Titelträger und Neuzugang ihnen die Show klaut, hat der Rest der Mannschaft nicht. Sie kennen sich schon seit Jahren, schlagen von sich aus vor, dass er ein paar Tricks zeigen soll. Das macht er dann auch. Präzision pur. Bis er sich an einem Trick die Zähne ausbeißt, der schon in dem Film „Absolute Giganten“ eine Schlüsselrolle spielt. Trick oder Tick – das ist hier die Frage. Brauns beantwortet sie selbst: „Tricks und Kniffe sind das eine. Letztendlich muss es kesseln.“
Ei: ein Zufallstor
Banane: Um sie zu schießen, wird der Ball mit dem Fuß der Figur hinten eingeklemmt und anschließend mit einer Kombination aus Druck und seitlicher Bewegung mit der Handgelenkstechnik nach vorne gedrückt, so dass sie einen Drall bekommt.
jetten: Der Jet (engl. Snake Shot) ist eine Überschlagstechnik, die mit Hilfe des Handgelenks ausgeführt wird. Erfunden wurde die Schusstechnik von einem Deutschen namens Hans-Friedrich Kircher, der aufgrund seiner Sehnenverletzung die Griffe an den Turniertischen nicht mehr umfassen konnte und sich etwas Neues einfallen ließ. Er beschleunigt seine Figuren durch das Abrollen des Griffs am Unterarm. Den Namen bekam der Schuss von der Tankstellen-Mütze, die Kircher zu dieser Zeit immer aufhatte. Sie stammte von Jet.
Pin-Shot: Vorhandklemmer. Die Vorteile des Pin Shot liegen vor allem an der Menge möglicher Variationen. Das Hauptaugenmerk liegt nicht so sehr auf der Geschwindigkeit, sondern darauf, die Verteidigung zu überlisten.
wegmurmeln: einen Ball ins Tor eiern
- fudder: Frank Brauns - Der Kickerkönig (Dezember 2007)
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