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Mit Pfeil und Bogen, Katniss-Style

Laura Wolfert

Von

Do, 18. Februar 2016

fudder

Kyudo ist japanisches Bogenschießen – Fudder-Autorin Laura hat zum Yumi gegriffen und die traditionsreiche Sportart ausprobiert.

Beim Kyudo sieht man dank Übungsoutfit...t, braucht es aber einige Jahre Übung.  | Foto: Privat, Laura Wolfert
Beim Kyudo sieht man dank Übungsoutfit automatisch schick aus. Bis die Handhabung des Yuki ähnlich elegant wirkt, braucht es aber einige Jahre Übung. Foto: Privat, Laura Wolfert

Einfach den Bogen spannen, Pfeil auf das Ziel richten, loslassen, fertig. Ganz so einfach funktioniert die japanische Schießsportart Kyudo nicht. Stattdessen gibt es Rituale, Disziplin und Tradition. Ein Selbstversuch in der Kyudo-Abteilung des PTSV Jahn in Freiburg, dem "Ginko Dojo" .

Der größte Unterschied zwischen Katniss Everdeen, der Hunger-Games-Heldin, und mir, der Gelegenheitsschützin, liegt im Outfit. Während die Filmheldin meist einen hautengen, heißen, schwarzen Kampf-Overall trägt, fühle ich mich wie ein Michelin-Männchen. Eine dicke, weiße Kleiderschicht ist um meinen Körper gebunden. "Wenn du noch atmen kannst, dann sitzt der Obi zu locker", sagt Kristina Odenweller, Mitglied des Freiburger Kyudo-Vereins, und lacht.

Wir stehen in der Karl-Burg-Halle des PTSV Jahn im Stadtteil Waldsee, einer großen Sporthalle, die nach altem Holz riecht. Die Wände sind bis in zwei Meter Höhe mit Holz verkleidet – falls man sich verschießen sollte. Es ist ruhig, nur ab und zu zischt ein Pfeil durch die Halle. Von nebenan dringt gedämpft Gebrüll zu uns herüber: dort machen Männer Krafttraining. Als Ziel dienen beim Kyudo dicke Strohballen, die auf Holzstativen thronen. Katniss, dessen bin ich sicher, würde die Ballen mit verbundenen Augen treffen. Und auch ich kann mir kaum vorstellen, an den voluminösen Zielscheiben vorbei zu schießen. Noch.

Bevor ich versuchen darf, einen der großen Strohballen zu treffen, muss ich mich jedoch umziehen. Die Kyudo-Bekleidung besteht aus einem weißen Gi (Oberteil), einem Hakama (Hosenrock), Socken mit einem getrennten großen Zeh (Tabi) und einem Obi (Gürtel). Alles sitzt ziemlich straff, und das muss es auch, da das ganze Outfit nur gefaltet und geknotet werden darf; Reißverschlüsse oder Knöpfe gibt es nicht. Im Spiegel betrachtet sieht der Dress gar nicht so schlimm aus wie erwartet. Ziemlich edel sogar, sauber und anmutig. Der Gi ist um meine rechte Seite gewickelt, anders herum werden nur Leichen eingekleidet – gerade noch mal Glück gehabt.

Der Bogen gilt in Japan als die Verkörperung von Disziplin und Reinheit. Kyudo ist eine Sportart, die dem Übenden im Leben mehr Ruhe und Kraft verleihen soll und viel mehr ist, als nur bloßes "Drauf-los-schießen" – das wäre für Anfänger auch zu gefährlich. Die Abläufe sind ritualisiert, alles muss zuerst genau beobachtet werden. Nicht umsonst bedeutet Kyudo auch "der Weg des Bogens."

Ich knie mich also auf den Boden und beobachte. In dem kleinen Dojo, der 1998 gegründet wurde, findet jeden Samstag ein gemeinsames Training statt. Heute sind 14 Schützen dabei. Fünf von ihnen streifen mit den Tabi-Socken den Boden entlang inmitten der Halle. Die Fersen darf man nicht sehen. Man muss genau auf Tempo und Abstände achten, um zeitgleich vor dem jeweiligen Ziel anzukommen und sich gemeinsam zu drehen. Es wirkt wie eine wochenlang einstudierte Choreographie, wie ein heiliges Ritual. Alle sind in ihren Bewegungen synchron. Sie wirken konzentriert, ruhig, ich traue mich kaum zu atmen.

Die Positionen, an denen sie warten oder wenden müssen, zeigen zwei handgroße aufgestellte Holzklötze mit japanischen Schriftzeichen am Rand an. Geschätzte zwei Meter stehen sie von einander entfernt. Ich darf mich nur hinter ihnen positionieren – hat wohl wieder etwas mit Tradition zu tun.

Der vordere Schütze fängt an, den Bogen von oben mit Pfeilrichtung nach unten zu spannen. Danach lässt er den Pfeil wie von selbst los. "Kyudo ist das genaue Gegenteil des olympischen Bogenschießens. Die schießen mehr im Stil von Legolas aus Herr der Ringe", sagt Studentin Kristina.

Die gute Haltung bin ich nicht gewohnt. Meine Knie schmerzen schon vom vielen Sitzen. "Wichtig ist es, zuerst die Technik zu beherrschen", sagt Trainer Roland Berkemeier. Bevor er anfangen konnte Kyudo zu erlernen, musste er ein halbes Jahr lang die Männertoilette putzen – das war allerdings in Japan. In Deutschland läuft es nicht ganz so streng ab, dennoch lege man auch hier Wert auf Disziplin.

Kurz bevor meine Füße durch das Sitzen einschlafen, darf ich mich aufrichten. Nach zwei weiteren Runden Beobachten darf ich endlich den Bogen greifen und schießen. Der Yumi – so heißt der Bogen aus Bambus – ist nicht so schwer, wie vermutet, obwohl er mich deutlich überragt.

Trotzdem ist es schwierig, ihn gerade zu halten, nicht zu wackeln. Ihn aufzuspannen gelingt mir kaum, obwohl ich mit einem leichten Gewicht anfange: neun Kilo Spannkraft. Männer haben 14 bis teils sogar 20 Kilo. Meine Arme zittern ein wenig. Ein Handschuh aus Leder, der mit einer Holzkerbe zur Aufnahme der Bogensehne versehen ist, schützt meine Hand vor Verletzungen. Er ist sehr steif, mein Daumen lässt sich nicht bewegen. Ich habe so wenig Gefühl in den Händen als wäre ich drei Stunden durch kalten Regen gelaufen. Der Pfeil sitzt ziemlich locker und flutscht mir aus den Fingern. Pffffffffffff! Statt in dem Strohballen landet der Pfeil auf dem Hallenboden. Ist der Handschuh schuld oder habe ich einfach kein Talent? Bin ich vielleicht mehr wie Peeta Mellark, Katniss’ untalentierter Verbündeter aus Distrikt 12?

Das will ich nicht wahrhaben und trainiere weiter, Schuss um Schuss. Nach zwanzig Versuchen rutscht mir zumindest der Pfeil nicht mehr aus den Fingern. Ein gutes Gefühl.

Nochmal. "Pffffffffffffft" rauscht der Pfeil durch die Halle – Treffer!

Das Training dauert ganze vier Stunden, mit einer kleinen Tee-Pause für private Gespräche, Grüntee natürlich. Aktuell hat der Verein fast 30 Mitglieder unterschiedlichen Alters. "Es ist aber besser, erst als Teenie anzufangen", sagt Roland Berkemeier. Unter 14 Jahren sei die Herausforderung durch den Sport noch zu groß. Langfristig soll Kyudo die innere Ruhe und Kraft fördern – und so den Alltag erleichtern.

"Für das erste Mal Kyudo hast du dich gut angestellt", sagt er am Ende des Trainings. Vielleicht, so denke ich, wäre Distrikt 12 gar nicht so schlecht bedient gewesen mit mir. Peeta Mellark hätte dann Zuhause bleiben können.

In Freiburg bietet der PTSV Jahn Kyudo an. Kontakt und Informationen über

http://kyudo-freiburg.de Probetraining immer donnerstags, 18.30 Uhr. Anmeldung erwünscht. Auch in Basel kann man Kyudo üben. Kontakt und Informationen über http://kyudo-basel.ch .

Ressort: fudder

  • Veröffentlicht in der gedruckten Ausgabe der BZ vom Do, 18. Februar 2016:
  • Zeitungsartikel im Zeitungslayout: PDF-Version herunterladen

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