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Erinnerungskultur

21 neue Stolpersteine erinnern an Ermordete und Überlebende des Nationalsozialismus

Anja Bochtler

Von

Do, 27. Oktober 2016

Freiburg

Jetzt sind es rund 410: Am Mittwoch hat der Kölner Künstler Gunter Demnig 21 neue Stolpersteine in Freiburg verlegt, die an Opfer des Nationalsozialismus erinnern.

Michel Kuflik kam  aus Zürich.  | Foto: m. bamberger
Michel Kuflik kam aus Zürich. Foto: m. bamberger
Hier lebten seine Großeltern, sein Vater, sein Onkel und seine Tante: Michel Kuflik (53), Grundschullehrer aus Zürich, und seine Frau Sara stehen vor dem Haus in der Eschholzstraße 78. Dort wurden gestern Stolpersteine für seine Angehörigen verlegt, die 1939 flüchten konnten und in Frankreich und in der Schweiz überlebten (ein ausführlicher Bericht über die Geschichte der Familie Kuflik folgt morgen in der BZ).

Michel Kuflik kannte bisher keine Stolpersteine – in der Schweiz gibt’s laut dem Kölner Künstler und Stolperstein-Initiator Gunter Demnig nur zwei der kleinen Messingtäfelchen, die an Opfer des Nationalsozialismus erinnern, sie wurden in Kreuzlingen direkt an der deutschen Grenze für zwei Fluchthelfer verlegt.

In Freiburg dagegen gibt’s inzwischen rund 410 Steine, schätzt die Freiburger Stolperstein-Organisatorin Marlis Meckel. Und es werden immer mehr – gestern kamen 21 dazu. Wenn, wie bei der Familie Künzel, Angehörige mit dabei sein können, freut das Marlis Meckel besonders. Michel Kuflik sagt, dass sein Vater Markus, der 1939 bei der Flucht aus Freiburg erst sechs Jahre alt war, nie viel von Freiburg erzählt hat. Da Markus Kuflik schon mit 45 Jahren an Leukämie starb, hatte sein Sohn ohnehin wenig Zeit, ihn zu fragen. Doch manches haben er und seine Frau Sara von Michel Kufliks Mutter erfahren. Zum Beispiel, dass Michel Kufliks Großvater Abraham Kuflik, der, unter anderem als Kantor und Lehrer, sehr engagiert in der Jüdischen Gemeinde war, sich sehr gut mit dem Pfarrer in der Nachbarschaft verstanden und sich viel mit ihm ausgetauscht habe – bis der ihn plötzlich ignorierte, als die politische Stimmung umschlug. Die Kufliks waren und sind orthodoxe Juden, der gerettete Sabbatleuchter der Großeltern steht bei Michel und Sara Kuflik in Zürich.

Die Familie ist riesig, Michel Kufliks Großeltern Abraham und Golda haben 200 bis 300 Nachkommen. Markus Kuflik hatte zehn Kinder, seine Frau hat inzwischen 96 Enkel – darunter sind die acht Kinder von Michel und Sara Kuflik.

Doch es gibt auch viele Stolpersteine, die an Menschen erinnern, über die zunächst gar nichts mehr bekannt ist. Christine Schaffner, für die gestern ein Stein in der Hildastraße 31 verlegt wurde, gehört dazu. Peter Künzel von der Stolperstein-Initiative hat es geschafft, über Akten aus dem Staatsarchiv mehr über die Frau herauszufinden, die 1857 geboren wurde und am 26. Februar 1941 im südfranzösischen Lager Gurs starb: Sie war mit einem Obst- und Gemüsehändler in Mainz verheiratet. Schon 1909, mit 52 Jahren, wurde sie Witwe. Ihre Tochter Paula heiratete den Freiburger Julius Bloch. Einige Jahre, nachdem 1912 ihr Enkel Fritz geboren wurde, zog auch Christine Schaffner hierher. Erst lebte sie in der Friedrichstraße. Als ihr Vermögen immer mehr schrumpfte, zog sie zur Familie ihrer Tochter in die Hildastraße.

Der Enkel Fritz studierte in Berlin und emigrierte rechtzeitig nach Haifa, doch Christine Schaffner, ihre Tochter und deren Mann wurden im Oktober 1940 nach Gurs deportiert. Christine Schaffner überstand den ersten Winter nicht – wie viele andere, die dort der Kälte, dem Schmutz und dem Hunger ausgeliefert waren. Nur Paula Bloch überlebte. Für Julius Bloch gibt’s bereits seit einiger Zeit einen Stolperstein.

Tragisch ist auch die Geschichte von Mordechai List-Wolf und seiner Frau Lea, die von 1928 bis 1933 in der Zasiusstraße 68 lebten. Sie stammten aus Polen und hatten länger in Chemnitz gewohnt, wo ihr Sohn Herbert und die Tochter Blanka 1920 und 1921 geboren wurden, erzählt Marlis Meckel. 1933 flohen sie nach Frankreich und von dort 1936 weiter nach Palästina. Warum Mordechai List-Wolf 1938 wieder zurück nach Frankreich kam, hat Marlis Meckel bisher nicht herausgefunden. Er wurde verhaftet und vom Polizeilager Compiègne mit einem der ersten Konvois ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert. Seine Frau und die Kinder überlebten in Palästina.

Ressort: Freiburg

  • Veröffentlicht in der gedruckten Ausgabe der BZ vom Do, 27. Oktober 2016:
  • Zeitungsartikel im Zeitungslayout: PDF-Version herunterladen

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